09 Jun 2018

Welcher Schaden darf’s denn sein?

Landwirtschaft verursacht Emissionen und ist schuld am Insektenschwund. Fleischverzehr ist klimaschädlich, aber Schweine gehören auf die grüne Wiese. Der Ertrag pro Hektar Anbaufläche taugt nicht zur Beurteilung des Nahrungsmittelsektors, „Gerechtigkeit, Gesundheit, Treibhausgasemissionen, Wasserqualität und Biodiversität“ müssen zukünftig berücksichtigt werden.

Letzteres stammt aus einem „Nature“-Artikel von Pavan Sukhdev aus Mumbai. Einer Stadt in Indien, die Dharavi, einen der größten Slums in Asien, beherbergt. Wer bei Google Earth „Mumbai Airport“ sucht, kann leicht die unzähligen blauen Plastikplanen erkennen, mit denen die Bewohner ihre 3 oder 4 Quadratmeter Lebensfläche vor Sonne und Regen schützen. In Dharavi wohnen Menschen, die vom Land geflüchtet sind, weil das Land sie nicht ernährt. Jetzt fristen sie ihr Dasein als Tagelöhner und hätten vielleicht eine andere Meinung zum Hektarertrag.

In Indien werden pro Hektar knapp 2.000 kg Reis geerntet, in China über 6.000 kg. Bei Baumwolle sind es 640 kg in Indien und 3.130 kg in China. Bei Sorghum ernten indische Bauern 600 kg je Hektar, ihre thailändischen Kollegen fahren glatt das Doppelte ein (*).

Sicher ist Ertrag nicht alles, aber eine gewisse Bedeutung hat er doch. Speziell in einem Land wie Indien, in dem 190 Mio. Menschen unterernährt sind (14,5% der Bevölkerung), mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren unter Blutarmut leidet, 38.4% der Kinder unter fünf Jahren im Wachstum gestört sind (zu klein für ihr Alter), während 21% für ihre Größe ein zu geringes Körpergewicht aufweisen (Quelle und mehr).

Aber das ist ja nicht unser Problem. Wir kümmern uns in erster Linie um den Insektenschwund. Die Datenbasis ist zwar wacklig, aber mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es ihn tatsächlich. Und die Landwirtschaft leistet sicher auch einen (gehörigen) Beitrag.

Die Lösung kann jedoch auch im reichen Westen kaum die komplette Umstellung auf Ökolandbau sein. Würde so der Ertrag halbiert, ist kaum damit zu rechnen, dass die Bevölkerung kollektiv auf FdH umstellt. Nahrungsmittel würden zwangsläufig importiert und dafür das Insektensterben exportiert.

Also wäre die Suche nach tauglichen Alternativen vielleicht eine Idee, solange nicht reflexartig die „kleinbäuerliche Landwirtschaft“ als Lösung präsentiert wird. Gerne werden ja z. B. kleine Felder als insektenfreundlich propagiert. Erntetechnisch (Achtung: Emissionen) sind die aber eher suboptimal. Vielleicht wären ja Blühstreifen im Feld, statt drum herum, eine Lösung? In England gibt es bereits Forschungsprojekte dazu.

Auch Realitätssinn sollte eine Rolle spielen. Egal wie klimaschädlich Fleischverzehr tatsächlich ist: Wer glaubt im Ernst, Menschen vom Schnitzel fernhalten zu können, wenn sie es sich denn (endlich) leisten können? Der Fleischverzehr steigt in allen Gesellschaften, sobald das Einkommen wächst. Selbst in Indien, dem Land der vielen Vegetarier, ist das so. Ein kleiner Teil der Bevölkerung, der aber tüchtig Geld verdient (wie z. B. Pavan Sukhdev aus Mumbai) reicht dort aus, den statistischen Pro-Kopf-Verbrauch merklich zu heben.

Wer allerdings dem völligen Fleischverzicht das Wort redet und die Preise verdrei- oder vervierfachen will (wie Robert Habeck), gleichzeitig Freilufthaltung für Schweine fordert und anschließend gegen den Bau entsprechender Ställe demonstriert, beweist bei der Lösungskompetenz noch eine Menge Luft nach oben. Und wer den Ertrag als (eine) Zielgröße verteufelt, gleichzeitig aber Lebensmittelverschwendung anprangert, hat ein Problem mit der Logik.

Es stellt sich immer dieselbe Frage: Wie lassen sich Zielkonflikte minimieren und welches Ziel hat Priorität? Prof. Manfred Schwerin vom Leibniz-Institut, Dummersdorf hat z. B. errechnet, dass unter Berücksichtigung des Klimaschutzes 8.000 kg Milch pro Kuh und Jahr optimal wären. Bewerte man jedoch die Flächennutzung höher, sollte der Durchschnitt bei 12.000 kg liegen.

Was wir brauchen, ist eine vernünftige Datenbasis und anschließend eine ebenso vernünftige Diskussion über Prioritäten. Bei realistischer Darstellung der Folgen jeder einzelnen Veränderung, werden die Lösungen dann auch allen Beteiligten vermittelbar sein.

PS: Manchmal, aber vermutlich eher selten, können wir in Zukunft aber auch eine win-win Situation erreichen. Wie beim Soja: Gepresst werden zu 20% Öl daraus, ein kleiner Teil davon wird dann zu Tofu für Veganer und 80 % (den Sojakuchen) bekommen Kühe, die daraus wiederum Milch für Vegetarier machen ;-).

(*) Anirudh Krishna: The Broken Ladder: The Paradox and Potential of India’s One-Billion, S. 38

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