26 Feb 2020

Planwirtschaft statt ökologisch-soziale Markwirtschaft

Kritische Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung

Gastbeitrag von
Prof. Dr. Albert Sundrum, Ökologische Agrarwissenschaften, Universität Kassel
Kritische Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung

Zusammenfassung
Im Auftrag der Bundeslandwirtschaftsministerin Frau Klöckner hat sich im April letzten Jahres eine Kommission aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen konstituiert, um ein Konzept zur Weiterentwicklung der deutschen Nutztierhaltung zu erarbeiten. Die nunmehr vorliegenden Vorschläge des Kompetenznetzwerkes sind geleitet von dem Versuch, die Kluft zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe auf den globalen Märkten und gesellschaftlichen Anforderungen an die Nutztierhaltung vor Ort zu überbrücken. Der Spagat zwischen den ökonomischen und gesellschaftlichen Anforderungen, der die Existenzfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe bedroht, soll mit dem Geld der Bundesbürger abgefedert werden. Allerdings fällt die Antwort auf die Kernfrage, was denn die Bundesbürger für das viele Geld, das hier transferiert werden soll, bekommen werden, und welche Vorteile sich für die Nutztiere ergeben, fällt sehr ernüchternd aus.

Das Papier der Kommission enthält weder eine sachgerechte Problemanalyse noch Vor-schläge, wie mit den diversen Interessenskonflikten, welche für die Probleme ursächlich sind, künftig umgegangen werden soll. Während der Wettbewerb nur auf der internationalen Ebene verortet wird, werden die unfairen Wettbewerbspraktiken auf der nationalen Ebene komplett ausgeblendet. Anstatt wie in einer Planwirtschaft noch mehr Geld mit der Gießkanne über die Betriebe zu verteilen, sollte es an den Nachweis tierschutzrelevanter Leistungen der einzelnen Betriebe geknüpft werden. Gleichzeitig ließe sich ein Wettbewerb zwischen den Betrieben auf nationaler Ebene etablieren, welche den Betrieben mit den effizientesten Strategien zur Erbringung von Tierschutzleistungen zum Vorteil gereichen. In gleicher Weise sollte über eine Internalisierung externer Effekte mit gemeinwohl-orientierten Umweltschutzleistungen verfahren werden. Entgegen der allgemeinen Verbraucherwahrnehmung sind erhöhte Haltungsstandards aus wissenschaftlicher Perspektive für die Realisierung verbesserter Tierschutzleistungen von untergeordneter Bedeutung. Relevant sind dagegen in erster Linie die mit Schmerzen, Leiden und Schäden einhergehenden Produktionskrankheiten. Statt über die Etablierung fairer Wettbewerbsbedingungen die Möglichkeiten des Marktes zu nutzen, enthält das Papier lediglich einen Masterplan zur Generierung zusätzlicher Finanzmittel für die Nutztierhalter, damit diese – wenn auch unter veränderten Haltungsbedingungen – im Wesentlichen so weiter machen können wie bisher. Damit gleichen die Empfehlungen den Vorschlägen für die Fassadenerneuerung eines baufälligen Wirtschaftsgebäudes.

Einleitung
Die seit vielen Jahren anhaltende Kritik an den Zuständen in der Nutztierhaltung in Deutschland hat dem Image der Agrarbranche und der allgemeinen Akzeptanz von Seiten weiter Bevölkerungskreise erheblich geschadet. Die Kritik zeigt ihre Wirkung nicht nur in Form eines Rückgangs der Verzehrsmengen an tierischen Produkten in Deutschland, sondern auch in der Gegenreaktion der Landwirte, welche die Kritik als überzogen zurückweisen und ihrerseits mit Nachdruck eine höhere Wertschätzung ihrer Arbeit einfordern. Das von der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eingerichtete Kompetenznetzwerk hat nun Empfehlungen vorgelegt, wie aus ihrer Sicht die Gesamtproblematik entschärft werden könnte. Danach bestehen die großen Herausforderungen der Nutztierhaltung in Deutschland vor allem in der regionalen Verdichtung, dem Ressourcenanspruch sowie den Treibhausgasemissionen einer Ernährung mit einem hohen Anteil tierischer Produkte, sowie in einer veränderten Einstellung der Gesellschaft und die damit verbundene Kritik an den Bedingungen der intensiven Nutztierhaltung vor allem in Bezug auf die Haltungsverfahren wie auch die Züchtung.

Unsachgerechte Problembeschreibung
Vielen Bundesbürgern kann das Interesse an einer nachhaltigen Lösung von Problemen in der Landwirtschaft unterstellt werden. Sie fühlen sich nicht nur von einer unzureichenden Produktqualität betroffen, sondern fordern zu Recht einen verbesserten Schutz der Lebensräume wildlebender Tiere, des Klimas und der Nutztiere vor negativen Beeinträchtigungen und Schadwirkungen.

Für die Mitglieder des Kompetenznetzwerkes stand jedoch eine andere Aufgabe im Fokus: „Die Nutztierhaltung in Deutschland muss in die Lage versetzt werden, den fachlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen an den Tier- und Umweltschutz zu entsprechen und trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben. Hierfür ist insbesondere ein starker Ausbau der zielorientierten staatlichen Förderpolitik erforderlich, denn Tierschutz kostet Geld.“ Angesichts der unterschiedlichen Perspektiven und daraus abgeleiteten Priorisierungen stellt sich die Kernfrage, ob und inwieweit die Vorschläge der Kommission geeignet sind, einen Interessensausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen herbeizuführen? Die klare Antwort lautet: nein!

Unstrittig ist, dass eine über Jahrzehnte staatlicherseits beförderte bzw. nicht verhinderte „starke regionale Verdichtung“ maßgeblich zu einer von der Nutztierhaltung ausgehenden Verschärfung der Umweltproblematik beigetragen hat. Allerdings können die daraus erwachsenen Probleme nur eingedämmt werden, wenn auch die Ursachen der regionalen Verdichtung in den Fokus genommen und einer Lösung zugeführt werden. Die Verdichtung ist Folge von Vorteilen im Wettbewerb, welche sich für die Landwirte in den viehstarken Regionen aus diversen Gründen ergeben haben. Die Vorteile konnten sich jedoch nur deshalb entfalten, weil gleichzeitig die negativen Folgewirkungen der Konzentrationsprozesse externalisiert wurden. Als externe Effekte werden in der Volkswirtschaftslehre die unkompensierten Auswirkungen ökonomischer Entscheidungen auf Unbeteiligte bezeichnet, also negative Auswirkungen, für die niemand aufkommt und die nicht in den Produktionskosten eingepreist werden. Sie werden daher nicht in das Entscheidungskalkül der Verursacher einbezogen. Anstatt jedoch das Verursacherprinzip, das für die Durchsetzung der staatlichen Umweltpolitik in Deutschland gesetzlich verankert ist, auch in der Landwirtschaft anzuwenden, sollen Bürger und Verbraucher nun für die Eindämmung negativer Folgewirkungen bezahlen, und zwar ohne dass sich an den Produktionsprozessen, welche diese hervorbringen, etwas Grundlegendes ändert. Um die weiter anhaltenden Fehlentwicklungen zu korrigieren, müsste die Internalisierung der externen Effekte zum vorrangigen Ziel politischer Maßnahmen erklärt werden. Davon ist in den Empfehlungen jedoch keine Rede.

Die pauschal geäußerte Annahme, dass mit der Nutztierhaltung per se ein Problem des Ressourcenverbrauches und der Treibhausgasemissionen einhergeht, ist so nicht haltbar. Landwirtschaftliche Betriebe weisen diesbezüglich sehr große Unterschiede auf. Ein hoher Ressourcenverbrauch und ein hohes Emissionspotential liegen vor allem dort vor, wo die Ressourcennutzung in den vor- und nachgelagerten Bereichen teils aufgrund von Flächenknappheit teils aus fehlenden oder gegenläufigen Anreizen nicht effizient organisiert ist. Gleiches gilt, wenn die Nährstoffe in den tierischen Exkrementen nicht durch gezielte Allokations-, Rezyklierungs- und Bindungsprozesse in die innerbetrieblichen Stoffkreisläufen integriert und an der Emission in die Umwelt gehindert werden. Die Organisation einer effizienten Nutzung betrieblicher Ressourcen und die Verringerung von Emissionen bedingt Mehraufwendungen und erhöht die Produktionskosten. Ohne einen monetären Ausgleich resultiert daraus ein eklatanter Wettbewerbsnachteil gegenüber jenen, die ihr Geschäftsmodel auf das Streben nach Kostenführerschaft durch die Externalisierung negativer Effekte ausgerichtet haben. Auch davon ist im Papier der Kommission keine Rede.

Gemäß des Kommissionspapiers ist die Kritik an der Nutztierhaltung vor allem gegen die platz- und damit kostensparenden Haltungsbedingungen gerichtet. Die Tatsache, dass sich Bilder von desaströsen Haltungsbedingungen besonders in den Köpfen der Bevölkerung einprägen und die öffentliche Debatte dominieren, macht dies nachvollziehbar. Bedeutsamer für die fachliche Bewertung ist jedoch, dass die negativen Folgewirkungen nicht unmittelbar sicht- und nachvollziehbar sind. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung so wenig präsent sind. Nutztiere haben nicht nur offensichtliche Probleme damit, dass sie sich nur eingeschränkt bewegen und ihr Verhaltensrepertoire nicht voll ausleben können. Vor allem aber leiden sich an den Erkrankungen, die mit Schmerzen, Leiden und Schäden einher gehen, die jedoch den Verbrauchern verborgen bleiben. Die hohen Raten von Produktionskrankheiten in den Nutztierbeständen sind in deutlich höherem Maße tierschutzrelevant als unzureichende Haltungsbedingungen. So wie verlorene Schlüssel nicht zwingend im Lichtkegel einer vorhandenen Laterne liegen, so werden die Probleme nicht dadurch gelöst, dass man nur die Bereiche adressiert, die sich über Bilder in der öffentlichen Wahrnehmung eingeprägt haben. Der Großteil der negativen Folgewirkungen der dominierenden Kostensenkungsstrategie in der Nutztierhaltung spielt sich nicht in sichtbaren Bereichen ab. Entsprechend erschließen sich die komplexen und auf der einzelbetrieblichen Ebene in sehr unterschiedlichem Ausmaß wirkmächtigen Zusammenhänge nicht durch simplifizierende, auf Teilaspekte reduzierende Ansätze.

Die Beschreibung der Ausgangslage entspricht nicht den Anforderungen, die an eine fundierte Analyse der heutigen Problemlage gestellt werden müssen. Um Probleme lösen zu können, müssen diese hinsichtlich der betrieblichen und überbetrieblichen Hintergründe für ihre Entstehung und ihres jeweiligen Ausmaßes angeschaut und ihr Vorhandensein akzeptiert statt negiert werden. Die Probleme im Zusammenhang mit der Nutztierhaltung entstehen im Kontext der jeweiligen gesamtbetrieblichen Situation. Entsprechend fallen sie einzelbetrieblich sehr unterschiedlich aus. Folgerichtig müssen sie im jeweiligen Betriebssystem einer Lösung in Form eines Abgleiches zwischen den berechtigten ökonomischen Interessen der Landwirte und den gemeinwohl-orientierten Interessen bezüglich Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz zugeführt werden.

Ausblenden der Zielkonflikte
Das Streben nach Kostenführerschaft stellt den maßgeblichen Treiber für die Entscheidungen im Betriebsmanagement dar. Solange die konventionellen Betriebe dem Preisverfall auf den globalen Märkten ausgesetzt sind, können sie nicht umsteuern. Die Zahlen zu den Betriebsaufgaben in den zurückliegenden Jahrzehnten zeigen deutlich, dass die Mehrzahl der Betriebe bei dem Versuch, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit im globalen Wettbewerb zu behaupten, gescheitert ist. Dies hält jedoch die Allianz aus Agrarpolitik, -wirtschaft, -lobby und -ökonomie nicht davon ab, weiter fest an diese Strategie zu glauben. Entsprechend ist man nicht bereit, überhaupt darüber nachzudenken oder gar zu debattieren, ob nicht der wirtschaftliche Druck auf die Senkung der Produktionskosten und die damit einhergehende Verknappung an Ressourcen in Form von Kapital, Arbeitszeit und Know how, die für die Eindämmung von unerwünschten Nebenwirkungen erforderlich sind, als die primäre Ursache für die Externalisierung unerwünschter Folgewirkungen anzusehen sind.

Landwirte müssen sehr viele unterschiedliche und gegenläufige Anforderungen gleichzeitig in den Griff bekommen. Dies gelingt ihnen in recht unterschiedlichem Maße. Vor allem gelingt dies nicht durch den Fokus auf Haltungsbedingungen, technische Entwicklungen oder Zucht bei gleichzeitigem Bestreben, die Produktionskosten zu senken und / oder die Leistung zu steigern. Solange sich am Streben nach Kostenführerschaft nichts ändert und solange die Externalisierung von unerwünschten Nebenwirkungen den Betrieben einen Wettbewerbsvorteil verschafft, ändert sich auch nichts an den bestehenden Zielkonflikten. Auch die geplanten Transferleistungen für die Finanzierung verbesserter Haltungsbedingungen ändern nichts daran. Verbesserte Haltungsbedingungen lösen nicht die Probleme, die aufgrund fehlender qualitativer Zielvorgaben fortdauern. Am deutlichsten zeigt dies der großangelegte Feldversuch der ökologischen Landwirtschaft. Die deutlich erhöhten Mindestanforderungen bezüglich der Haltungsbedingungen und auch die höheren Marktpreise haben nichts Grundlegendes daran geändert, dass die Betriebe um Kostenminimierung bemüht sind, und dass diese Bemühungen auf Kosten der Realisierung hoher Tierschutzleistungen gehen. Die ökologische Landwirtschaft ist bislang den Nachweis schuldig geblieben, dass mit verbesserten Haltungsbedingungen Verbesserungen bei den tierschutzrelevanten Produktionskrankheiten erzielt wurden. Die Ergebnisse umfassender wissenschaftlicher Studien, die hierzu sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene durchgeführt und auch vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördert wurden, passen nicht ins Bild und werden wohl deshalb weitgehend ignoriert.

Das ungebrochene Streben nach Kostenführerschaft ist die maßgebliche Ursache für die negativen Folgewirkungen der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Es geht zum Vorteil weniger, aber zu Lasten vieler, einschließlich der Landwirte selbst. Es wäre erforderlich, nicht nur die Produktionsleistungen, sondern auch die Folgewirkungen in Form von Produktionskrankheiten und Nähstoffausträgen in die Umwelt einzelbetrieblich zu quantifizieren. Nur so können Landwirte, welche ein hohes Maß an qualitativen Leistungen für das Gemeinwohl erbringen, sowohl durch Zahlungen aus öffentlichen Mitteln als auch über die Instrumente des Marktes honoriert werden. Gleichzeitig eröffnet nur dies die Möglichkeit, diejenigen, welche durch ihr Geschäftsmodell den Interessen des Gemeinwohles schaden, künftig daran zu hindern. Dies schließt keineswegs aus, dass der Staat auch den landwirtschaftlichen Betrieben hilft, die erhebliche Probleme bei der Erzeugung hoher Umwelt- und Tierschutzleistungen haben.

Festgefahrende Denkmuster
Die Empfehlung, sich bei der „Entwicklung von Zielbildern an den 3 Stufen der geplanten Tierwohlkennzeichnung des BMEL bzw. an den Stufen 2 bis 4 der Haltungsform-Kennzeichnung des Lebensmitteleinzelhandels zu orientieren“, offenbart die gedankliche Engführung. Hier wird mit wissenschaftlicher Unterstützung weiter so getan, als ob die Haltungsform eine belastbare Aussage über die damit einhergehenden Tierschutzleistungen ermöglichen würde. Haltungsstandards repräsentieren die Simplifizierung komplexer Sachverhalte in kommunizierbare Denkkategorien. Was bei technischen Geräten durchaus Sinn macht, verbietet sich bei der Unüberschaubarkeit und der Unvorhersagbarkeit komplexer biologischer Prozesse, auf denen die Haltung von Nutztieren und die Erzeugung tierischer Produkte basiert. Standards werden von einigen wenigen, leicht zugänglichen Indikatoren abgeleitet. Diese weisen lediglich auf Teilaspekte hin, ohne dass damit eine belastbare Aussage über die Gesamtwirkung der Einflussfaktoren, d.h. über das Niveau an Produkt- bzw. Prozessqualitäten abgeleitet werden kann.

Maßgeblich für die Anliegen des Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzes sind nicht die unmittelbar ersichtlichen Teilaspekte, welche in handliche Begriffskategorien wie Haltungsformen eingestuft werden können. Die Wirkungen der Nutztierhaltung auf Güter des Gemeinwohles und deren Ausmaße können nur am Ende von Prozessketten durch fortlaufende Erhebungen und Bilanzierungen festgestellt werden. Zwar wird von den Autoren des Berichtes eingestanden, dass „die Einhaltung von vorgeschriebenen Maßen und Ausgestaltungen der Haltungsanlagen nicht automatisch ein ausreichendes Tierwohl sicherstellt“. Sie schlagen deshalb vor, dass „Tierwohl- und Tiergesundheitsindikatoren Teil der Zielbilddefinition und der Definition der Tierwohlstufen sein“ sollten. Deren Umsetzung verschieben sie jedoch auf unbestimmte Zeit. Offensichtlich gibt es erhebliche Widerstände von Seiten der Agrarlobby, sich dem wahren Ausmaß der Produktionskrankheiten zuzuwenden. Zudem liegt ein Denkfehler vor, wenn von ausgewählten „Tierwohlindikatoren“ erwartet wird, dass damit „der Status des Tierwohls“ valide beurteilt werden kann. Indikatoren sind lediglich Hinweisgeber. Sie erfüllen weder die wissenschaftlichen Kriterien der Objektivität und der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse; noch weisen sie einen hinreichenden Erklärungsgehalt hinsichtlich der Bedeutung der Merkmalsausprägung für die einzelnen Tiere und für den Schutz der Tiere vor Beeinträchtigungen im spezifischen Kontext eines Betriebes auf. Folgerichtig sind Indikatoren auch nicht justiziabel, um daran die Zuwendung oder die Ablehnung finanzieller Mittel oder behördliche Anweisungen zur Beseitigung von Missständen zu knüpfen. Hierzu bedarf es anderer, durchaus verfügbarer Differenzierungsvariablen, mit denen die einzelbetrieblichen Leistungen erfasst und die Betriebe untereinander rangiert werden können. Beispiele aus dem Ausland zeigen, wie dies justiziabel abgesichert und leicht operationalisiert werden kann. Auch in Deutschland wird diese Vorgehensweise bereits erfolgreich praktiziert. So schreibt sich das Bundeslandwirtschaftsministerium gern die Erfolge bei der Senkung der Verbrauchsmengen an Antibiotika in der Schweinehaltung auf die eigenen Fahnen. Erreicht wurde dieser Teilerfolg dadurch, dass die Betriebe seit einer gegen den expliziten Willen der Agrarlobby vorgenommenen Novellierung des Arzneimittelgesetzes die Einsatzmengen an Antibiotika angeben müssen. Anhand dieser Angaben können die Betriebe rangiert und diejenigen mit den höchsten Verbrauchsmengen in Relation zu den Produktionsmengen identifiziert und reguliert werden.

Anstatt Haltungsformen zu Zielbildern des Tierschutzes hochzustilisieren, sollte als ein Zielbild für die höchste Qualitätsstufe die nachweisliche Freiheit von gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Nutztiere zum Zeitpunkt der Produktwerdung etabliert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Landwirte den Tieren sowohl hinreichende Ressourcen in Form von Nährstoffen und von Bewegungsräumen anbieten als auch hygienische und verhaltensrelevante Maßnahmen treffen, welche die Tiere vor Beeinträchtigungen schützen, die mit Schmerzen, Leiden und Schäden einhergehen. Daraus folgt auch, dass Produkte aus der ökologischen Nutztierhaltung nur dann die höchste Qualitätsstufe beanspruchen können, wenn die produktliefernden Betriebe eine gegenüber dem Durchschnitt deutlich geringere Prävalenz an Mortalitäts- und Merzungsraten sowie Produktionskrankheiten und Verhaltensstörungen nachweisen können.

Ohne dass die Hintergründe für die Entstehung der gemeinwohlrelevanten Probleme analysiert, reflektiert und abgestellt werden, und ohne dass Erfolgskontrollen hinsichtlich der Problemlösungen implementiert werden, bleiben diese bestehen. Transferleistungen ohne eine Verifizierung des Erfolges von Maßnahmen sind kontraproduktiv. Eine effiziente Verringerung der überbetrieblichen Problemlage ist am ehesten dadurch zu erreichen, dass man sich vorrangig den Betrieben zuwendet, von denen die größten Probleme zu Lasten der Gemeinwohlinteressen ausgehen. Dies beinhaltet nichts weniger als die Anwendung des Verursacherprinzips in der Landwirtschaft. Zu den Prinzipien der Umweltpolitik in Deutschland wird ausgeführt: „Der entscheidende ökonomische Grund für die Verfolgung des Verursacherprinzips ist die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effizienz, d.h. der gesamtwirtschaftlich sparsame Einsatz der Ressourcen.“ Dies gilt in analoger Weise auf für die Unterstützung derjenigen Verbraucher, welche aufgrund eines unzureichenden Einkommens, Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln für einen verbesserten Zugang zu Lebensmitteln erhalten sollten. Dies macht volkswirtschaftlich deutlich mehr Sinn, als die Lebensmittelpreise auch für die Wohlhabenden in diesem Land durch ein Überangebot auf ein Niedrigpreisniveau zu drücken, dadurch die Wertschätzung der Lebensmittel zu senken, die Wegwerfmentalität von Lebensmitteln zu erhöhen, das Qualitätsniveau hinsichtlich Produkt- und Prozessqualitäten nach unten zu nivellieren und die landwirtschaftlichen Betriebe zu einer verstärkten Externalisierung der negativen Folgewirkungen von Produktionsprozessen zu treiben.

Marktwirtschaft und Landwirtschaft
Bei der Marktwirtschaft geht es im Kern um nichts anderes, als um die effiziente Verteilung von Ressourcen und die Vermeidung von Verschwendung. Gemäß der Theorie wird im marktwirtschaftlichen Wettbewerb der Anbieter gewinnen, der die Kundenwünsche nicht nur treffend vorhersieht, sondern sie auch preisgünstig erfüllen kann. Unstrittig ist, dass das marktwirtschaftliche System in der Landwirtschaft bezogen auf das Angebot preisgünstiger Rohwaren ausgezeichnet funktioniert. Der Wettbewerb um die Kostenführerschaft hat dazu geführt, dass die Marktpreise in Relation zum Einkommen der Bürger nie niedriger waren als heute. Gemäß der Theorie haben die Gewinner des Wettbewerbs diejenigen Waren im Sortiment, die sich die Kunden wünschen. Gleichzeitig benötigen sie zur Herstellung dieser Waren weniger Ressourcen, wodurch sie die Produktionskosten senken können. Die Theorie besagt auch, dass man in der Marktwirtschaft nur dauerhaft erfolgreich bleibt, wenn man sein Angebot ständig an die sich verändernden Bedingungen anpasst, also fortlaufend auf veränderte Kundenwünsche, Produktionsmöglichkeiten und Ressourcenknappheiten reagiert.

Nun, da sich die Wünsche der Kunden und die Bedingungen der Produktion gleichzeitig verändern, haben viele Landwirte in Deutschland ein ernstes Problem. Dies gilt insbesondere für solche Landwirte, welche die Entwicklungen nicht vorhergesehen haben oder sehen wollten und sich unter anderem durch in Beton gegossene Haltungssysteme, welche weder den Anforderungen der Nutztiere noch den Vorstellungen vieler Verbraucher entsprechen, einseitig festgelegt haben. Sie sind folglich nur sehr bedingt in der Lage, sich den veränderten Erfordernissen anzupassen. Gleichzeitig werden für die deutschen Produzenten die Produktionsmittel in Form von Boden- und Pachtpreisen, Dünge-, Futter- und Pflanzenschutzmitteln immer teurer. Und nun soll auch noch durch eine verschärfte Dünge-Verordnung die Möglichkeiten, die überschüssigen Reststoffe in die Umwelt zu entsorgen, eingeschränkt und damit die Entsorgung der Reststoffe verteuert werden. Kein Wunder, dass viele Landwirte auf die Barrikaden gehen, droht doch ihr Geschäftsmodell – das schon seit längerer Zeit nicht mehr so richtig funktioniert – endgültig zu scheitern.
Das Versagen des Marktes bei der Bereitstellung gemeinwohlrelevanter Zielgrößen wird mittlerweile selbst von Agrarökonomen eingestanden. Allerdings wird von dieser Seite bislang keine Antwort auf die Frage gegeben, was hier schiefgelaufen ist, warum die Gesetze der Marktwirtschaft in der Landwirtschaft nicht funktionieren und wer dafür vorrangig die Verantwortung trägt? Die Theorie der Marktwirtschaft sagt dazu Folgendes: „Ebenso wie im Sport obliegt es den Organisatoren des Wettbewerbs – den Politikern –, die Spielregeln so zu bestimmen, dass sie unerwünschte Strategien und unfaire Praktiken wirksam unterbinden. Werden die Spielregeln unzureichend festgelegt oder wird ihre Einhaltung nicht sichergestellt, ist das kein Manko der Wettbewerbsidee, sondern ihre mangelhafte Umsetzung.“ Ein anderer ökonomischer Lehrsatz lautet: „Das Recht an einem Objekt wandert zu demjenigen, der damit den höchsten wirtschaftlichen Erfolg erzielen kann. Die Wanderung der Faktoren zum besten ökonomischen Wirt bedarf keiner staatlicher Umleitungsanstalt. Der Markt stellt für die Lenkung der Produktionsmittel das weit überlegene Instrument dar.“ Hier tut sich ein scheinbar unauflösbarer Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern regulativer Eingriffe des Staates auf. Dieser Konflikt lässt sich allerdings leicht auflösen.

Anders als sich dies aus Sicht der Agrarökonomie darstellt, sind Land- und Tierwirte nicht nur ökonomische Wirte. Sie sind sehr eng eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext und in Lebensräume und -verhältnisse, die nicht ausschließlich der landwirtschaftlichen Nutzbarmachung unterliegen. Diese Einbettung spielt bislang offensichtlich für die ökonomischen Entscheidungen nur eine untergeordnete Rolle. Mit der Fokussierung auf die eigenen ökonomischen Interessen unter Ausblendung der negativen Folgewirkungen laufen die Landwirte jedoch Gefahr, sich aus der Gemeinschaft der am Gemeinwohl interessierten Bundesbürger zu verabschieden. Hier könnten Landwirte zu Recht einwenden, dass sie vom Preisdiktat des Verarbeitungsgewerbes und des Lebensmitteleinzelhandels dazu genötigt werden. Auf der anderen Seite fordern sie jedoch vom Staat keine Regulierungen ein, welche faire und gemeinwohl-orientierte Wettbewerbsbedingungen ermöglichen. Stattdessen protestieren sie gegen jegliche Regulierungsabsichten, die ihnen staatlicherseits zugemutet werden. Eine Debatte über die besten Möglichkeiten der Regulierung zum Vorteil der Landwirte und der Gemeinwohlinteressen kommt so erst gar nicht zustande.

Wenn sich die Agrarpolitik nicht nur als Interessensvertreter der Agrarwirtschaft und ökonomischer Interessen versteht, sondern auch als Vertreter der Interessen des Gemeinwohles, kommt sie entgegen den Ratschlägen der Agrarökonomie nicht umhin, sich den Herausforderungen regulativer Eingriffe zu stellen. Die Bereitschaft, darüber nachzudenken und darüber zu debattieren, ist bislang nicht erkennbar. Aus der Perspektive einer sozio-ökologischen Marktwirtschaft sind diejenigen die besseren Land und Tierwirte, denen es gelingt, ihre eigenen ökonomischen Interessen mit denen des Gemeinwohls zu verknüpfen, d.h. die externen Effekte zu internalisieren. Um hier erfolgreich zu sein, müssen die Betriebe die ökonomischen, für die Existenzfähigkeit des Betriebes relevanten Kenngrößen mit den Anforderungen des Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzes in Form einer gesamtbetrieblichen Leistung des Betriebes in Einklang bringen. Bislang fehlt es von Seiten der Agrarpolitik an entsprechenden Rahmenbedingungen, um die Versöhnung von ökonomischen und ökologischen Anforderungen in einer Weise zu operationalisieren, die sowohl den Landwirten und dem Gemeinwohl zum Vorteil und nicht zum Nachteil gereicht.

Wer sich noch näher mit den Vorschlägen von Prof. Sundrum auseinandersetzen möchte, findet hier seinen Text „Allgemeine Desorientierung im Kontext der Landwirtschaft oder die verweigerte Suche nach dem besseren (Land-)Wirt“

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