Beschlüsse aus dem Arbeitskreis 3: Tierschutz für Nutztiere
Präventive Tiermedizin für den Tierschutz bei lebensmittelliefernden Tieren: Das Einzeltier im Fokus
Tierschutz bei landwirtschaftlichen Nutztieren umfasst einen Komplex verschiedener Themen, aus denen sich eine Vielzahl von Aufgaben und Verantwortlichkeiten – in den Bereichen Tier-gesundheit, Verhalten, Haltung, Zucht, Transport, Schlachtung – für die Tierärzteschaft ergibt. Angesichts der Komplexität der Aufgaben hat sich der Arbeitskreis 3 des 29. Deutschen Tier-ärztetages auf eine thematische Auswahl fokussiert. Die Analyse aktueller Tierschutzprobleme in der Nutztierhaltung zeigt, dass der Umgang mit schwer erkrankten oder verletzten Einzeltieren deutlicher Verbesserungen bedarf. Mangelhafter, tierschutzwidriger Umgang mit einzelnen erkrankten/verletzten Nutztieren bis hin zu eindeutiger Strafrelevanz gerät immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Den bestandsbetreuenden Tierärzt:innen wie auch den amtlichen Tierärzt:innen wird dabei eine Mitverantwortung zugeschrieben.
Nutztiere können grundsätzlich in allen Betriebsformen und Haltungssystemen erkranken bzw. sich verletzen. Die Tierhalter:innen müssen über die fachlichen Kenntnisse verfügen und ihre Betriebsabläufe so gestalten, dass die frühzeitige Erkennung erkrankter/verletzter Einzeltiere
jederzeit gewährleistet ist. Sie müssen sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Einzeltier bewusst sein und in der Entscheidung über die Therapie und Pflegemaßnahmen eng mit den bestandsbetreuenden Tierärzt:innen kooperieren. Auch die Entscheidung über die Unheilbarkeit einer schwerwiegenden Erkrankung/Verletzung, die eine unverzügliche Nottötung unabdingbar macht, ist in enger Abstimmung mit den behandelnden Tierärzt:innen zu treffen.
Bestandsbetreuende Tierärzt:innen verfolgen gemeinsam mit amtlichen Tierärzt:innen das Ziel, vermeidbare Schmerzen, Leiden und Schäden durch mangelhaften Umgang mit und mangelhafter Versorgung von erkrankten/verletzten Nutztieren zu verhindern.
1. Der Deutsche Tierärztetag fordert den Gesetzgeber auf, die Erlaubnispflicht für gewerbs-mäßige Tierhaltungen nach § 11 TierSchG auf landwirtschaftliche Nutztierhaltungen auszudehnen. Nur so kann präventiv sichergestellt werden, dass Haltungsanforderungen Be-achtung finden und Tierhalterinnen und Tierhalter ihre Sachkunde und Zuverlässigkeit vor Erlaubniserteilung nachweisen müssen. Über Nebenbestimmungen in der § 11-Erlaubnis sollten in diesem Zusammenhang betriebsindividuelle Tierbetreuungsschlüssel festgelegt werden. Regelmäßige Fortbildungsverpflichtungen für Tierhalter:innen und Tierbetreuer:innen von landwirtschaftlichen Nutztieren sind gesetzlich einzuführen.
Die Einführung der Erlaubnispflicht für landwirtschaftliche Nutztierhaltungen erfordert gemäß der VO (EU) 2017/625 zwingend eine angemessene personelle Ausstattung der Veterinärämter, um diese neuen und bereits bestehende Aufgaben wahrnehmen zu können.
2. Der Deutsche Tierärztetag fordert den Gesetzgeber erneut und nachdrücklich auf, eine zentrale Tiergesundheitsdatenbank zu schaffen, die es der amtlichen Kontrolle ermöglicht, risikobasierte Kontrollen in Nutztierhaltungen so durchzuführen, wie es in der Verordnung (EU) 2017/625 (OCR) europaweit vorgesehen ist. Damit amtliche Tierärztinnen und Tier-ärzte den Umgang mit kranken Einzeltieren überprüfen können, sind für jeden Nutztierbestand Tier- und Altersgruppen-bezogene Mortalitäten, Schlachttier- und Fleischuntersuchungsbefunde, wie auch Ergebnisse betriebsbezogener Falltieruntersuchungen systematisch zu erfassen, zu bewerten und der amtlichen Kontrolle wie auch den bestandsbetreuenden Tierärzten und Tierärztinnen zugänglich zu machen.
3. Der Deutsche Tierärztetag fordert den Gesetzgeber auf, analog zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Rahmenüberwachung (AVV Rüb) in der Lebensmittelüberwachung eine AVV Tierschutzüberwachung vorzulegen, die konkrete Risikobeurteilungen und daraus resultierende Kontrollfrequenzen für landwirtschaftliche Nutztierhaltungen festlegt.
4. Der Deutsche Tierärztetag fordert den Gesetzgeber auf, die Rechtsgrundlage zu schaffen, die es ermöglicht, Kontrollen in Verarbeitungsbetrieben für tierische Nebenprodukte (VTN) zur Erhebung tierschutzrelevanter Befunde und Rückverfolgung der Tiere zum Herkunftsbetrieb durchzuführen, um diese Befunde im Rahmen der Risikobewertung landwirtschaftlicher Nutztierhaltungen nutzen zu können.
5. Der Deutsche Tierärztetag fordert, im Sinne des Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz Verstößen gegen das Tierschutzgesetz eine hohe Priorität einzuräumen.
Der Deutsche Tierärztetag fordert die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für den Tierschutz. Tierschutzstraftatbestände sollen in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden.
6. Der Deutsche Tierärztetag fordert, dass in Ausbildungsbetrieben und Fakultäten der Agrarwissenschaft sowie in allen sonstigen Einrichtungen beruflicher Bildung (z.B. Landwirtschaftskammern, Berufsschulen) sichergestellt wird, dass in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von tierbetreuenden Personen Sachkunde und Fähigkeit zur Erkennung der Behandlungsbedürftigkeit kranker und verletzter Tiere auch in einem frühen Krankheits-stadium und die unverzügliche Umsetzung von Maßnahmen zur angemessenen Behandlung und Pflege sicher gewährleistet sind. Insbesondere ist auch das nötige Wissen für die rechtzeitige und fachgerechte Nottötung schwer und unheilbar kranker Tiere nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in den Ausbildungsbetrieben zu vermitteln.
7. Der Deutsche Tierärztetag fordert die Landwirtschaftskammern und die landwirtschaftlichen Verbände auf, die Landwirte bei der Anwendung digitaler Instrumente zur Erfassung und Auswertung tiergesundheits- und tierschutzrelevanter Daten zu fördern. Die Erfassung und systematische Auswertung und Dokumentation dieser Daten ermöglicht eine zeitnahe risikoorientierte Einstufung der Betriebe und erleichtert die betriebsindividuelle Bewertung der Tiergesundheit.
8. Der Deutsche Tierärztetag fordert die veterinärmedizinischen Bildungsstätten auf, die klinische Ausbildung am kranken Tier grundsätzlich zu stärken und in diesem Rahmen den Studierenden Kriterien zu vermitteln, die erlauben, die Heilbarkeit und Unheilbarbar-keit von Erkrankungen/Verletzungen bei Nutztieren sicher zu differenzieren. Den Studierenden soll zudem verstärkt die praktische Durchführung von rechtskonformen Verfahren vermittelt werden, um unheilbar kranke einzelne Tiere von Schmerzen, Leiden und Schäden zu erlösen.
Der Deutsche Tierärztetag fordert, dass im Rahmen der tierärztlichen Fort- und Weiterbildung für Tierärzt:innen, die in der Nutztierpraxis arbeiten, die praktischen Fähigkeiten zur Durchführung der Nottötung vermittelt werden, um im Rahmen der tierärztlichen Bestands-betreuung praktisch unterstützend und beratend gegenüber Tierhalterinnen und Tierhaltern auftreten zu können.
9. Die Tierärzteschaft verpflichtet sich, die vertraglichen Grundlagen der Bestandsbetreuung so anzupassen, dass die Verantwortlichkeiten zur Behandlung und Pflege erkrankter Einzeltiere und ggf. die Erlösung unheilbar kranker Tiere zwischen Tierhalter:in und bestandbetreuender Tierärztin/bestandsbetreuendem Tierarzt für jeden Bestand betriebsindividuell eindeutig geregelt sind.
Die Nottötung von Rindern sollte aus Tierschutzgründen nur durch Tierärzt:innen erfolgen.
10. Die Tierärzteschaft verpflichtet sich, ein grundlegendes Konzept für eine präventive Ko-operation zur Optimierung des Umgangs mit einzelnen kranken Nutztieren zwischen bestandsbetreuender Tierärztin/bestandsbetreuendem Tierarzt und den für die Durchführung von Kontrollen zuständigen amtlichen Tierärzt:innen zu erarbeiten. Die Anforderungen aus Artikel 25 (Tiergesundheitsbesuche) und Artikel 26 (Überwachungspflicht der zu-ständigen Behörde) der VO (EU) 2016/429 (Tiergesundheitsrechtsakt) erfordern die beschriebene Konkretisierung der Zusammenarbeit.
Quelle: Bundestierärztekammer