11 Sep 2016

Niedersachsen will Tierkadaver untersuchen lassen – Österreich tut es bereits

Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer forderte anlässlich der Agrarminister-Konferenz, Tierkadaver,
die bei Tierkörperbeseitigungsanlagen (TBA) angeliefert werden,
in Zukunft auf mögliche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu untersuchen.

Auf der diesjährigen Tierschutz-Tagung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (8./9. 9.) stellte Prof. Dr. Johannes Baumgartner (VetMed Uni Wien) Ergebnisse einer entsprechen- den „Erhebung von Tierschutzindikatoren in der Tierkörper- beseitigungsanlage“ in Österreich vor.

Offizielle Statistiken nennen für die 34 Mitgliedsstaaten der EFPRA (European Fat Processors and Renderers Association) über 5,3 Mio. sog. Falltiere für das Jahr 2012. Weil aber Jungtiere wie Ferkel und Lämmer nur gewichtsmäßig erfasst werden, muss von einer deutlich höheren Tierzahl ausgegangen werden.

Liegt kein Verdacht auf eine anzeigepflichtige Seuche vor, werden Falltiere bisher nur in Ausnahmefällen amtstierärztlich untersucht. Es gibt jedoch deutliche Hinweise, dass ein Teil der Tiere in einem Zustand angeliefert werden, der darauf schließen lässt, dass sie zu Lebzeiten unangemessen und unsachgemäß behandelt wurden und qualvoll verendet sind. Im Rahmen zweier Diplomarbeiten wurde deshalb der Inhalt von 100 Sammelfahrzeugen in einer österreichischen TBA untersucht.

Folgende Aspekte standen dabei im Fokus:

– Anzeichen hochgradiger Abmagerung
– Anzeichen von Wundliegen (Häufigkeit, Schweregrad, Lokalisation)
– Pathologische Klauenveränderungen
– Sonstige pathologische Veränderungen wie Umfangsvermehrungen, Verletzungen, hochgradige Verschmutzung
– Anzeichen einer (nicht-)fachgerechten Tötung

Von 1.070 gefallenen Rindern zeigten 134 Kadaver (12,5%) Auffälligkeiten. Mehr als ein Jahr alte Rinder waren dabei häufiger betroffen (41 %) als Jungtiere (3%). Bei 100 Rindern (9,3%) wurde Wundliegen festgestellt und zwar in jedem 2. Fall hochgradig. Hinzu kamen hochgradig abgemagerte oder stark verschmutzte Tiere und solche mit pathologischen Klauenveränderungen.

Bei den insgesamt untersuchten 987 Schweinen wurden bei 203 (21 %) pathologische Veränderungen festgestellt.
33 % der Sauen und 20 % der Mastschweine zeigten Auffälligkeiten, am häufigsten Bissverletzungen an Schwanz und Ohren. 80 (8,1 %) Tiere Dekubitalgeschwüre, 30 (3,0 %) Gewebsschwellungen, 14 (1,4 %) Klauenschäden und 6 (0,6 %) hochgradige Abmagerung.

Alle Falltiere bei Anlieferung in einer Halle flächig zu verteilen, wie für die Diplomarbeiten geschehen, ist im Alltagsbetrieb einer TBA nicht machbar. Deswegen haben die österreichischen Wissenschaftler ein Monitoring-System entwickelt und die TBA-Fahrer mithilfe von Checklisten die fünf wichtigsten hochgradigen Veränderungen erfassen lassen. Nach entsprechender Schulung waren die Fahrer dann tatsächlich in der Lage Einstufungen vorzunehmen, die einer wissenschaftlichen Überprüfung standhielten.

Angesichts der Ergebnisse aller Untersuchungen mahnt Prof. Baumgartner die Tierhalter ihr Augenmerk auf die Vorsorge zu richten und der Tierbeobachtung höchste Priorität einzuräumen. Aber auch seine Tierarzt-Kollegen sieht er in der Pflicht, nicht nur Behandlungen zu verordnen, sondern deren Erfolg auch zu überprüfen, um frühzeitig Tiere zu erkennen, bei denen eine Therapie vielleicht nicht angeschlagen hat.

Besonders traurig stimmen die Ergebnisse der Untersuchung von Kadavern notgetöteter Tiere. Hier dokumentieren die Wiener, dass etwa die Hälfte (!) nicht fachgerecht getötet wurde. Die betraf alle Tierarten und Altersklassen, also auch eine große Anzahl ausgewachsene Rinder und Sauen.

Vor allem falsch aufgesetzte Bolzenschussapparate waren das Problem (ein Schwein wies unglaubliche acht Einschusslöcher auf) und Fehler beim Entbluten (mangelnde Entblutung, Stich statt Schnitt und dadurch Ersticken am eigenen Blut, statt Tod durch Blutverlust).

Als wäre das nicht schlimm genug, wurden auch noch lebende Tiere zur TBA geschickt! Ein deutscher Amtstierarzt aus dem Publikum musste dies aus seiner Praxis bestätigen und war mit dem Professor einig, dass es Tierhalter gibt, die es nicht über sich bringen ein Tier zu töten. Beide berichteten sogar davon, dass schon Fahrer von TBA-Lastern gefragt wurden, ob sie nicht eine Nottötung vornehmen könnten.

Auch wenn es sich hier nur um krasse Einzelfälle handelt, belegen sie überdeutlichen Handlungsbedarf. Wir brauchen flächendeckend Sachkundekursen zur Nottötung für Tierhalter und Hoftierärzte sollten ihren Kunden offensiv anbieten, Nottötungen für sie fachgerecht durchzuführen.

Links zur Wiener Tierärztlichen Monatsschrift:
„Hinweise zu Zeitpunkt und Durchführung der tierschutzkonformen Nottötung“

beim Wiederkäuer
beim Schwein

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