Keime sind überall: um uns, auf uns, in uns. Gesunden Menschen können sie nichts anhaben, vor allem solange sie an Stellen vorkommen wo sie hingehören. Gelangt aber z. B. ein Darmkeim wie E. Coli in den Magen, sieht die Sache schon ganz anders aus! Wir alle erinnern uns an die besonders üblen EHEC auf Biosprossen, nach deren Verzehr Tausenden Menschen schwer krank wurden und 53 sogar starben.
Auch der Hautkeim Staphylokokkus aureus ist normalerweise unproblematisch, sogar in seiner gefährlicheren, weil multiresistenten Form als MRSA. Alle Menschen tragen die „normale“ Variante mit sich herum und etliche sogar die multiresistente Form MRSA. Ganz besonders häufig gehören Nutztierhalter und Nutztierärzte zur letztgenannten Gruppe, sie sind zu 70-80 % nasal mit MRSA besiedelt, mancherorts praktisch zu 100 %. Und doch sind sie nicht alle krank, denn zwischen Besiedlung und Infektion besteht ein großer Unterschied. Auf der Körperoberfläche richtet auch MRSA keinen Schaden an, aber auf keinen Fall darf der Keim in tiefere Körperregionen gelangen, denn dort löst er schwere Entzündungen aus, die sich nur schwer behandeln lassen.
Woher kommen nun aber diese besonders problematischen multiresistenten MRSA-Keime? Natürlich aus der Natur. Es gab sie sogar lange bevor Fleming das Penicillin entdeckte. Wäre es anders, hätte ja eben dieses Penicillin mit einem Schlag restlos alle Keime aus der Welt geschafft.
Hat es aber nicht – und auch kein modernes Antibiotikum schafft das oder wird es je schaffen.
Jeder Einsatz „antimikrobieller Wirkstoffe“ stellt einen Auswahlprozess dar. Sicher hat jeder schon von Darwin und „survival of the fittest“ gehört. Genau das passiert nämlich: es überleben die am besten an ihre Umweltbedingungen angepassten Organismen („fittest“ wird oft und falsch mit „stärkste“ übersetzt; hätten in der Vergangenheit aber immer nur die Stärksten überlebt, würde es heute auf der Erde nur so von Sauriern wimmeln).
Wenn sich zu den normalen Umweltbedingungen der Bakterien plötzlich Antibiotika gesellen, sterben die allermeisten beim Kontakt mit dieser neuen Substanz ab. Ein paar überleben den Angriff jedoch, weil sie – per zufälliger Mutation – einen unpassenden Rezeptor ausgebildet haben. Der Antibiotikaschlüssel passt dann nicht ins Schloss und kann im Inneren des Bakteriums seine zerstörerische Wirkung nicht entfalten.
Allerdings eröffnet der evolutionäre Zufall den überlebenden Bakterien ungeahnte Möglichkeiten: sie können sich auf Teufel komm raus vermehren. Und je häufiger von nun an das Antibiotikum eingesetzt wird, desto besser wird ihre Ausbreitung unterstützt. Werden gegen die unempfindlichen Keime andersartige Wirkstoffe eingesetzt, geht das Spiel von vorne los. Wieder werden fast alle Bakterien erledigt – aber eben nicht restlos alle. Im Laufe der Zeit entwickeln sich dann sogar multiresistente Formen und die sind wirklich problematisch.
Heute gibt es Bakterien die gleich gegen mehrere Wirkstoffgruppen unempfindlich sind und sich fast nicht mehr bekämpfen lassen. In extremen Fällen greifen Humanmediziner deshalb auf Antibiotika zurück, die eigentlich vor Jahrzehnten, wegen ihrer schweren Nebenwirkungen, aus dem Verkehr gezogen wurden. Besteht aber akute Todesgefahr für einen Patienten, bleibt kaum eine andere Wahl.
Seitdem Tiere antibiotisch behandelt werden, haben sich genau wie beim Menschen, auch bei ihnen Antibiotika-Resistenzen gebildet und heute tragen auch Tiere multiresistente Formen in oder auf ihren Körpern. Nutztiere zeigen zwar selten selbst Krankheitssymptome, sind aber häufig Träger resistenter Keime. Und so wie MRSA ursprünglich mal vom Menschen auf das Tier übertragen wurde, funktioniert es auch andersherum.
Heute sind nicht nur viele Landwirte und Tierärzte mit MRSA besiedelt, sondern es werden „in ländlichen Regionen, ca. 20–38 % der Fälle von MRSA CC398 bei Menschen nicht auf einen (in-) direkten Tierkontakt zurückgeführt“ (Köck et al. 2014). Diese Zahlen sind besorgniserregend und Landwirte haben – gemeinsam mit ihren Tierärzten – die Pflicht, mit aller Macht gegen diese Gefahr aus den Ställen vorzugehen.
Und das tun sie auch bereits, denn: die Entwicklung resistenter Keime ist erstens eine Bedrohung für ihre Tiere (auch wenn bisher Krankheitsfälle selten sind) und zweitens für die Tierhalter selbst! Bezogen auf die Gesamtbevölkerung machen landwirtschafts-assoziierte MRSA-Infektionen zwar „nur“ 2 % aus, in Gegenden mit hoher Nutztierdichte aber bis zu 10 % (Köck)!
Deswegen müssen Human- und Veterinärmediziner gemeinsam und schnell die vielfältigen Konzepte umsetzen, mit denen sich der Antibiotika-Einsatz deutlich vermindern lässt. Wo immer der Einzelne Verantwortung trägt – ob im Stall oder im Krankenhaus – muss er dazu beitragen, die Ausbreitung resistenter Keime zu stoppen. Denn sonst steuern wir auf eine flächendeckende Katastrophe bei Mensch und Tier zu.
Quelle: Köck, R. et al. „The impact of zoonotic MRSA colonization and infection in Germany”
Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 127, Heft 9/10 (2014), Seiten 38–398
Grafik: Autor Georg Keckl, Quelle MRSA-Fälle Niedersachsen: Robert Koch-Institut: SurvStat, Quelle Nutztiere je Einwohner: Landesamt für Statistik Niedersachsen