15 Jun 2023

Pflanzenschutzmittel – Hohe Maßstäbe in der Risikobewertung auch bei Mischungen

Menschen sind in ihrem Alltag einer Vielzahl von Stoffen ausgesetzt – natürlichen sowie künstlich hergestellten (auch als „synthetisch-chemisch“ bezeichnet). Kommt man gleichzeitig mit mehreren Stoffen in Kontakt, ist man so genannten Mischungen ausgesetzt. Viele davon sind aus gesundheitlicher Sicht unbedenklich. Entweder, weil die Stoffe sowohl einzeln als auch zusammen nicht in Konzentrationen vorliegen, bei denen gesundheitlich relevante Effekte auftreten könnten oder auch weil der Körper viele potentiell schädliche Stoffe verstoffwechseln und dadurch unschädlich machen kann.

Toxikologisch relevant werden Mischungen erst dann, wenn durch das Zusammenkommen mehrerer Stoffe sich die Effekte einzelner Substanzen durch ihr Zusammenwirken in gesundheitlich bedenklichem Ausmaß verstärken oder die Stoffe miteinander so wechselwirken, dass es zu schädlichen Wirkungen kommen kann. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die betreffenden Mischungen beabsichtigt oder zufällig sind (ebenso ob der Ursprung der Substanzen „synthetisch-chemisch“ oder „natürlich“ ist).

Bewusst vom Hersteller produzierte, also „beabsichtigte“ Mischungen sind aber aufgrund ihrer Vorhersehbarkeit besser einzuschätzen und zu bewerten als zufällige Mischungen. Im Sinne eines umfassenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes prüft und bewertet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) grundsätzlich auch Mischungen.

Die Bewertung möglicher gesundheitlicher Auswirkungen von Substanzen in Mischungen, die so bereits entweder fertig formuliert vorliegen oder bei denen aufgrund des Anwendungsbereichs ein gemeinsames Auftreten vorhersehbar ist, gehört in den meisten Rechtsbereichen zur guten toxikologischen Praxis. Die Bewertung sogenannter zufälliger Mischungen wird, sofern bekannt und relevant, ebenfalls berücksichtigt, ist aber aufgrund der Vielzahl möglicher Stoffkombinationen eine Herausforderung. Hier gilt es zuvorderst die Stoffe zu identifizieren, die gemeinsam wirken können und bei denen die Exposition hoch genug ist, so dass es überhaupt zu Mischungseffekten kommen kann. Das BfR hat daher für die Identifizierung möglicher gesundheitlich relevanter Mischungen ein Konzept mit Vorschlägen entwickelt.

Auch Stoffe, die bereits in besonders niedrigen Konzentrationen Effekte entfalten können, werden im Rahmen dieser Bewertungen entsprechend dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigt. Idealerweise geschieht dies bei Vorliegen entsprechender Daten auf Basis klar feststellbarer Dosis-Wirkungsbeziehungen, die so grundsätzlich zunächst auch in Mischungen gelten. Wenn die Stoffe bereits in so niedrigen Dosen Effekte entfalten, dass unter praktischen Gesichtspunkten eine eindeutige Dosis-Wirkungsbeziehung nicht ermittelt werden kann, erfolgt die Bewertung unter der Prämisse einer Expositionsminimierung auf Basis des ALARA-Prinzips („As Low As Reasonably Achievable“ englisch für „so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar“). Ein Sonderfall in dieser Kategorie sind Stoffe, die unter sogenannte regulatorische Cut-Off-Kriterien fallen, also aufgrund ihrer Wirkung unerwünscht sind. Hier wird eine gezielte Verwendung in der Regel ausgeschlossen und beim Vorkommen als Kontaminanten (Verunreinigungen) die Bewertung entsprechend streng ausfallen. Regulär sind dies alle CMR-Stoffe der Kategorie 1, also Stoffe, die karzinogen (krebserzeugend), mutagen (erbgutverändernd) oder reproduktionstoxisch (fruchtbarkeits- und/oder entwicklungsschädigend) wirken, inklusive betreffender Substanzen, die schädlich auf das Hormonsystem wirken.

Mischungen können je nach Wirkmechanismus der Einzelstoffe unterschiedlich stark ausgeprägte Effekte haben. Es gibt grundsätzlich vier Möglichkeiten, wie Stoffe in einer Mischung zusammenwirken können. (1) Sie können voneinander unabhängige, unterschiedliche Wirkungen haben; (2) Ihre Wirkung kann sich addieren (additive Wirkung); (3) Sie können zusammen stärker wirken als die Summe der Einzelwirkungen (synergistische Wirkung); (4) Sie können sich gegenseitig in ihrer Wirkung abschwächen (antagonistische Wirkung). Im Falle gleicher/ähnlicher Wirkung wird nach derzeitigem Kenntnisstand davon ausgegangen, dass sich Wirkungen in der Regel addieren. Voraussetzung dafür ist, dass die aufgenommenen Stoffe den gleichen Wirkmechanismus haben und zum gleichen Zeitpunkt oder in sehr naher zeitlicher Abfolge vom Organismus aufgenommen wurden.

Verschiedene EU-Verordnungen schreiben die Berücksichtigung von Kumulations- und Synergieeffekten bereits vor, z. B. die EU-Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln. Ein Leitfaden zur kumulativen Bewertung von Pflanzenschutzmitteln wurde daher am BfR erarbeitet und veröffentlicht. Seit dem Jahr 2017 wird das Verfahren am BfR in Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel angewandt. Im Kern geht es darum, in einem mehrstufigen Verfahren verschiedene Wirkstoffe in einem Pflanzenschutzmittel oder in einer beantragten Tankmischung kumulativ zu bewerten. Seit dem 1. September 2020 werden in diese Betrachtungen auch Arbeiterinnen und Arbeiter sowie unbeteiligte Dritte (Anwohnerinnen und Anwohner sowie Nebenstehende) mit einbezogen. Zur Wirkung von Mehrfachrückständen von Pflanzenschutzmitteln liegen zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Sie geben keinen Anlass zu der Annahme, dass die derzeit durchgeführten Bewertungen nicht hinreichend konservativ wären. Unabhängig davon unterliegen diese Prüf- und Bewertungsstrategien einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und sind Gegenstand entsprechender Forschungsprojekte. An einigen davon war und ist auch das BfR beteiligt (u a. EuroMix; PANORAMIX; PARC.

Gleichzeitig beschäftigt sich das BfR aber auch mit weiteren relevanten Fragestellungen, z. B. rund um das Thema endokrin schädigender Substanzen (sog. endokrine Disruptoren). Hierzu hat das BfR FAQs sowie ein Erklärvideo veröffentlicht.

Quelle: BfR

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