22 Mrz 2017

Nordhessischer Schweinetag 2017 in Morschen

(Bild: Nadine Henke, Manfred Stieglitz)

Am 15. März fand im Kloster Haydau zum 18. Mal der „Nordhessische Schweinetag“ statt. Tierarzt und Schweinespezialist Manfred Stieglitz hatte kompetente Referentinnen und Referenten gewinnen können und gut 100 Teilnehmer nutzen die Gelegenheit, sich über aktuelle Themen zu informieren und zu diskutieren.

Mirjam Lechner, Beraterin aus Hohenlohe (HOFRA), stellte das Thema „Nekrosen“ quasi vom Kopf auf die Füße und forderte die Praktiker auf: Gehst du in den Stall, vergiss das Putztuch nicht! Ihr Hauptaugenmerk gilt nämlich den Klauen. Kleinste Veränderungen dort, die nur nach gründlicher Reinigung zu sehen sind, gäben frühe Warnsignale für spätere Probleme, wie Schwellungen von Zitzen und Vulva sowie Nekrosen an Ohren und Schwänzen.

Mykotoxine im Futter, aber auch Endotoxine seien hierfür verantwortlich. Das LSZ Boxberg forsche aktuell zu Frühwarnsignalen, aber schon jetzt sei klar: je kranker die Sau zu einem bestimmten Zeitpunkt, desto schlechter gehe es später den Ferkeln. Qualität und Zusammensetzung des Futters, Wasserversorgung und auch Genetik müssten auf den Prüfstand, rät die Spezialistin. Und wer ihre Fotos von kranken Ferkelklauen gesehen hat, sieht das auch sofort ein – beileibe nicht nur, weil die Klaue im Export ein Rolle spielt.

Über alte und neue Erreger der Influenza berichtete Dr. Monika Köchling (IDT Biologika). Sie warnte insbesondere vor einem neuen Subtyp des Erregers (H3N1), mit neuen Symptomen: Inappetenz, Apathie und vermehrtes Umrauschen gehörten dazu, ebenso Aborte. Bei den pandemischen Erreger-Typen, gäbe es auch keine Spezies-Schranke mehr zwischen Mensch, Schwein, Pferd und Geflügel. Auch die jahreszeitliche Beschränkung sei nicht mehr gegeben. Ihr Tipp: auch Tierhalter sollten sich auf jeden Fall impfen lassen! Und an einem speziellen Impfstoff gegen H3N1 werde natürlich gearbeitet.

Dr. Madeleine Martin (Landestierschutzbeauftragte) erläuterte den hessischen Erlass zur Kastenstandhaltung. Sie erklärte dazu, dass Sauenhalter zwar grundsätzlich selbst über die Art seiner Umsetzung entscheiden könnten, in jedem Fall aber innerhalb von sechs Monaten ein passendes Konzept vorzulegen hätten (in Ausnahmefällen 12 Monate). Das zuständige Veterinäramt ordne dann, unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit, entsprechende Maßnahmen an. Einzelfallprüfungen sollen dann zu zumutbaren und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen und betriebsindividuellen Fristen führen. Diese könnten zwischen einem und 20 Jahre betragen, so Martin.

Dr. Dirk Hesse (agrikontakt) stellte in seinem Beitrag zur optimalen Haltung abgesetzter Sauen die fachliche Grundlage des hessischen Erlasses infrage. Das BVG-Urteil stehe im Widerspruch zum Tierschutz und die Eins-zu-eins-Umsetzung des Erlasses führe unweigerlich zu Tierleid und Bauernsterben. Insbesondere stützte er seine Einschätzung auf Versuche von 18 Betrieben, die im letzten Jahr eine Arbeitsgemeinschaft gegründet haben, um praxisgerechte Lösungen zu finden und zu testen.

Der Schweinespezialist fordert die Möglichkeit Sauen für insgesamt 14 Tage zu fixieren
(10-11 während der Rausche, 2-3 wegen Rangkämpfen nach dem Absetzen und insgesamt 14 auch, damit durch 7 teilbar, zur Planung in Rhythmen) oder den Tieren Schutzräume zum freiwilligen Aufsuchen anzubieten. Auch seien allgemeingültige und ausreichend lange Umbaufristen zu gewähren, wie in den Niederlanden (12 Jahre) und Dänemark (20 Jahre). In Sachsen-Anhalt dagegen sei in einem Fall der Umbau innerhalb von 20 Tagen gefordert worden.

In der anschließenden Diskussion verteidigte Frau Dr. Martin den hessischen Erlass, denn das BVG-Urteil sei „faktisch bindend“, weil anderslautende Entscheidungen in anderen Bundesländern nicht zu erwarten wären. Dr. Hesse dagegen stellte die Frage, wie das Urteil allgemein bindend sein könne, wenn es im konkreten Fall und dem konkreten Stall nur um 80 von 780 Sauen gegangen sei.

Dieser Meinung schloss sich der anwesende Justiziar des Hessischen Bauernverbandes, Wolfgang Koch, an und forderte Rechtssicherheit. Schließlich seien alle Ställe seit 1990 genehmigt worden, sagte der Jurist.

Auch dem juristischen Laien kommen allerdings Zweifel, wenn Veterinärämter die wirtschaftliche Verfassung eines Betriebes beurteilen und nach eigenem Gusto Fristen festsetzen, die entsprechenden Maßnahmen aber nicht etwa im Voraus, sondern erst nach deren Umsetzung begutachten und genehmigen sollen. Auch die Gründe für das Vorpreschen einzelner Bundesländer wirft Fragen auf, hatte doch die Agrarministerkonferenz erst kürzlich einheitliches Vorgehen beschlossen.

Den Kontrapunkt zum Kastenstand setzte anschließend Udo Polmer, Lebensmittelchemiker, Sachbuchautor und Ernährungs-Satiriker, mit seinem Vortrag. Die launigen, teils bissigen, Ausführungen zu vegetarischer und veganer Ernährung, trugen stark zur Entspannung im Saale bei. Die Frage „Müssen wir alle ins Gras beißen?“ beantwortete er zwar grundsätzlich mit ja, für die Zeit bis dahin rät er jedoch zu fleischhaltiger Ernährung.

Last but not least berichtete Nadine Henke, Tierärztin, Ferkelerzeugerin und Ceres-Award- Gewinnerin 2016, von ihren umfangreichen Aktivitäten in den „Sozialen“ und anderen Medien. Als „Massentierhalterin mit gewerblicher Ferkelerzeugung und dänischen Sauen“, sei sie quasi die „Inkarnation des Bösen“ und damit prädestiniert, das öffentliche Bild der Schweinehaltung zurechtzurücken.

Ihre Zuhörer kamen aus dem Staunen nicht mehr raus, als sie von Fernsehen und Facebook erzählte und viele Beispiele für Aktionen und Reaktionen zeigte. Nicht nur mit er Reichweite von Bildern und Texten, die von Hunderttausenden gesehen werden, beeindruckte sie ihre Landwirtskollegen. Vor allem Engagement und Zeitaufwand erschien einigen Zuhörern schier unglaublich. Dabei wussten sie nicht mal, dass allein in jener Woche noch zwei weitere Vorträge auf Nadine Henkes Programm standen.

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