Neuartige Erreger in Rind und Kuhmilchprodukten: Weitere Forschung notwendig
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat im Februar 2019 Erkenntnisse zu neuartigen Infektionserregern mit der Bezeichnung „Bovine Milk and Meat Factors” (BMMF) vorgestellt. Demnach können die bisher unbekannten Erreger Entzündungen hervorrufen. Laut DKFZ wurden sie bislang in Kuhmilch, Kuhmilchprodukten und Blutserum gesunder Rinder nachgewiesen. Möglicherweise könnte aus den bisherigen wissenschaftlichen Ergebnissen ein indirekter Zusammenhang zwischen dem Verzehr verschiedener vom Rind stammender Lebensmittel und dem Auftreten einiger Krebsarten beim Menschen interpretiert werden. Das DKFZ vermutet, dass Säuglinge mit noch nicht ausgereiftem Immunsystem innerhalb ihres ersten Lebensjahres beim Zufüttern von Kuhmilch mit BMMF infiziert werden. Sie schlussfolgern daher, Säuglinge nicht zu früh mit Kuhmilch zu ernähren.
Die BMMF stellen laut DKFZ neuartige Erreger dar, die von ihrer Art sowohl Viren als auch Bakterien ähnlich sind. Durch ihre Verwandtschaft zu Plasmiden werden sie daher momentan als „Plasmidome“ bezeichnet. Entsprechend den DKFZ-Forschenden liegen die BMMF nicht als „nacktes“ Erbmaterial, sondern zusammen mit Proteinen vor.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Max Rubner-Institut (MRI) kommen gemeinsam zu dem Ergebnis, dass eine Bewertung möglicher Risiken durch die sogenannten BMMF als mögliche Krebsrisikofaktoren aufgrund unzureichender Datenlage bisher nicht möglich ist. Der vermutete Zusammenhang zwischen den BMMF und dem Auftreten von Krebserkrankungen des Menschen sollte weiter erforscht werden.
Nach aktuellem Stand empfehlen BfR und MRI bezüglich der Ernährung: Auf der Grundlage der bisher veröffentlichten epidemiologischen Studien zum Zusammenhang zwischen dem Konsum von rotem sowie verarbeitetem Fleisch und einem erhöhten Darmkrebsrisiko und in Einklang mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird empfohlen, den Fleischverzehr auf maximal 600 Gramm pro Woche zu begrenzen. Dagegen wird nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens der Konsum von Kuhmilch weiterhin uneingeschränkt empfohlen. Auch das Stillen zur Vorbeugung gegen verschiedene Krankheiten ist grundsätzlich zu befürworten.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Max Rubner-Institut (MRI) haben eine Pressemitteilung zu einer Veranstaltung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg zu „neuartigen Infektionserregern aus Milch und Fleisch als Krebsrisikofaktoren“ bewertet und nehmen dazu im Folgenden gemeinsam Stellung.
Hintergründe zur Pressemeldung des DKFZ
Nach Meinung des DKFZ könnte eine bestimmte Klasse von Erregern in Rindfleisch und Milch, die sogenannten „Bovine Meat and Milk Factors“ (BMMF), chronische Entzündungen verursachen, die den Boden für eine maligne Entartung von Zellen in Brust und Dickdarm bereiten könnten. Laut DKFZ (2019) und zur Hausen et al. (2017) deutet das geografische Verteilungsmuster der Neuerkrankungsraten von Darm- und Brustkrebs auf einen engen Zusammenhang mit dem Konsum von Milch- und Fleischprodukten vom europäischen Rind (Bos taurus) hin.
Laut den Unterlagen zur Pressekonferenz des DKFZ (2019) handelt es sich bei BMMF um einzelsträngige, ringförmige DNA-Elemente, die große Ähnlichkeit mit den Sequenzen spezifischer bakterieller Plasmide aufweisen. Alle bisher bekannten BMMF besitzen jeweils ein Gen für das zur eigenen Vervielfältigung notwendige „Rep“-Protein (Replikations-InitiatorProtein), unabhängig von anderen vorhandenen Genen. Gemäß Eilebrecht et al. (2018) zeigen die meisten BMMF eine Ähnlichkeit zu Plasmiden von Acinetobacter baumannii, wobei einige BMMF auch Ähnlichkeiten mit bestimmten Viren mit kleinem, zirkulärem, einzelsträngigem Erbgut aufweisen (DKFZ, 2019). Zudem sollen sie in der Natur wahrscheinlich nicht als nackte DNA, sondern mit Proteinen assoziiert vorkommen. BMMF stellen laut DKFZ eine neue Klasse von Erregern dar, die in ihren Charakteristika zwischen Viren und Bakterien liegen. Durch ihre Verwandtschaft zu Plasmiden werden sie daher momentan als „Plasmidome“ bezeichnet. Das DKFZ weist darauf hin, dass die Natur dieser Erreger bisher nicht eindeutig definiert werden konnte.
Über 120 verschiedene Typen von BMMF-DNA wurden bisher aus kommerziell erhältlicher Kuhmilch, Kuhmilchprodukten und aus Serumproben gesunder Rinder isoliert (Whitley et al., 2014; Falida et al., 2017; DKFZ, 2019). Eine Vervielfältigung verschiedener BMMF in menschlichen Zellen wurde nachgewiesen (Eilebrecht et al., 2018), wobei die Erreger dabei auf zelluläre Proteine angewiesen sind, die noch nicht bestimmt wurden. Außerdem wurden bei insgesamt 350 sowohl gesunden als auch krebskranken Personen Serum-Antikörper gegen BMMF nachgewiesen, was eine Exposition gegenüber dem Erreger belegt. Laut DKFZ wurden BMMF-Proteine bislang in Kolon, Prostata und Gehirn gefunden, während BMMF-DNA im Kolon vom Menschen nachgewiesen wurde. In Tumorzellen wurden bisher jedoch keine BMMF-Sequenzen detektiert.
Mit BMMF infizierte Gewebebereiche zeigen erhöhte Spiegel reaktiver Sauerstoffverbindungen, die ein typisches Merkmal für Entzündungen darstellen und die Entstehung von Erbgutveränderungen begünstigen. Das DKFZ geht aufgrund der genannten, insbesondere epidemiologischen Beobachtungen davon aus, dass es durch den Verzehr von Milchprodukten und/oder Rindfleisch zu einer Infektion mit BMMF insbesondere im frühen Säuglingsalter aufgrund des noch nicht vollständig entwickelten Immunsystems kommen kann. In der Literatur finden sich keine Hinweise für einen möglichen Zeitpunkt der Infektion. Das Immunsystem ist bei der Geburt noch nicht voll ausgebildet bzw. arbeitet nach neueren Erkenntnissen zunächst reduziert (Ulas et al., 2017) und entwickelt sich durch die Exposition gegenüber Antigenen in der Kindheit schrittweise weiter (Simon et al., 2015). Dennoch kann eine Infektion auch bei vollständig entwickeltem Immunsystem im späteren Leben derzeit nicht ausgeschlossen werden.
Die Erreger sollen nach der Infektion in bestimmten Geweben (Darm, Brust) eine chronischentzündliche Reaktion induzieren, die im umgebenden Gewebe die Krebsentstehung (insbesondere für Dickdarm-, möglicherweise auch für Brust- und Prostatakrebs) fördern kann. Zum Ausbruch der Krankheit soll es erst Jahrzehnte nach der eigentlichen Infektion kommen (zur Hausen et al., 2019). BMMF sollen hierbei indirekt karzinogen wirken. Dies bedeutet, dass sie nicht direkt in krebsfördernde molekulare Prozesse der Zelle eingreifen, sondern eine – zumeist entzündliche – krebsfördernde Umgebung schaffen. Aus den geschilderten Gründen schlussfolgert das DKFZ, dass keine direkte Kausalität zwischen einer Infektion mit BMMF und beispielsweise Darmkrebs besteht, sondern dass BMMF einen Anteil am Darmkrebs-Risiko tragen, welcher aber nicht exakt beziffert werden kann (DKFZ, 2019).
Als mögliche Präventionsmaßnahme gegenüber einer Infektion mit BMMF nennt das DKFZ langes Stillen (über 6 Monate hinaus). Muttermilch beinhaltet zahlreiche Inhaltsstoffe mit antipathogenen Eigenschaften (Peterson et al., 2013). Diese enthalten häufig Glykanstrukturen, d. h. Zucker, die entweder als freie Oligosaccharide (humane Milch-Oligosaccharide) oder gebunden als Makromoleküle in Form von Glykokonjugaten (Glykoproteine und Glykolipide) vorliegen (Peterson et al., 2013; Morozov et al., 2018). Humane Milchglykane sind in der Lage, Erkennungsstellen für Erreger nachzuahmen, an diese zu binden und den Erreger daran zu hindern, an Zelloberflächen zu haften und dadurch Infektionen vorzubeugen (Newburg et al., 2009; Peterson et al., 2013; Morozov et al., 2018). Stillen geht mit einem geringeren Risiko für Infektionen mit verschiedenen Erregern (z. B. Rotaviren) einher, insbesondere wenn über die ersten 6 Monate ausschließlich gestillt wird (Krawczyk et al., 2016; Quigley et al., 2016). Es ist daher nicht auszuschließen und als Hypothese generell vorstellbar, dass humane Milchglykane auch vor Infektionen mit BMMF schützen könnten. Jedoch ist diese Hypothese aufgrund einer unzureichenden Datenlage derzeit nicht zu erhärten.
Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen der frühen Ernährung mit Muttermilch und dem Krebsrisiko der Nachkommen im Erwachsenalter ist begrenzt. Am besten untersucht ist die Assoziation zum Brustkrebs; die Ergebnisse sind jedoch inkonsistent (Ekbom et al., 1993; Freudenheim et al., 1994; Weiss et al., 1997; Titus-Ernsthoff et al., 1998; Martin et al., 2005; Wise et al., 2009).
Bewertung
Wie oben ausgeführt, ist es derzeit nicht möglich, die genaue Natur der BMMF zu bestimmen bzw. zu definieren. Die oben genannten, insbesondere epidemiologischen Beobachtungen können als vorläufige Hinweise auf einen ggf. indirekten Zusammenhang zwischen dem Konsum verschiedener Lebensmittel bovinen Ursprungs und dem Auftreten einiger Krebsarten beim Menschen interpretiert werden, stellen aber keinen kausalen Zusammenhang dar.
Zur Abschätzung des potenziellen Risikos fehlen bisher valide, evidenzbasierte Untersuchungen. Beispielsweise fehlen Daten zum Vorkommen von BMMF in anderen Lebensmitteln nicht-bovinen Ursprungs, zum Vorkommen von BMMF in gesunden Menschen im Vergleich zu Krebspatienten, zum Mechanismus der Entzündungs- und Krebsinduktion durch BMMF sowie zur Infektiosität und Inaktivierung von BMMF in Lebensmitteln. Die Abschätzung eines Zusammenhangs zwischen dem Verzehr BMMF-enthaltender boviner Lebensmittel und dem Auftreten von Tumorerkrankungen erscheint momentan auch deshalb kaum möglich, weil die genannten BMMF lediglich als indirekte Karzinogene und nach einer sehr langen Latenzzeit wirken sollen.
Darüber hinaus müssen die bisher veröffentlichten epidemiologischen Arbeiten differenziert betrachtet werden. Im Fall von Darmtumoren weisen die bisherigen Studien darauf hin, dass der Konsum von rotem und prozessiertem Fleisch mit dem Auftreten von Darmkrebs korreliert (WCRF, 2007; Huxley et al., 2009; Chan et al., 2011; Corpet, 2011), dass aber ein hoher Konsum von Milch und Milchprodukten mit einem verminderten Darmkrebsrisiko einhergeht (WCRF, 2007). Laut WCRF (2018) führt weder der Konsum von rotem Fleisch noch der von Kuhmilch zu einem vermehrten Auftreten von Brustkrebs.
Fazit
Eine Bewertung möglicher Gefahren durch die sogenannten „Bovine Meat and Milk Factors“ (BMMF) als mögliche Krebsrisikofaktoren ist aufgrund unzureichender Datenlage zurzeit nicht möglich. Auf der Grundlage der bisher veröffentlichten epidemiologischen Studien bezüglich des Zusammenhangs zwischen dem Konsum von rotem sowie prozessiertem Fleisch und dem erhöhten Darmkrebsrisiko und in Einklang mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird empfohlen, den Fleischverzehr auf maximal 600 g/Woche zu begrenzen. Dagegen wird nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens der Konsum von Kuhmilch weiterhin uneingeschränkt empfohlen.
Stillen als Präventionsmaßnahme für das Auftreten diverser Krankheiten ist grundsätzlich zu befürworten. Hinsichtlich der Prävention einer Infektion mit BMMF fehlen jedoch auch hier derzeit valide Daten.
Weitere Informationen auf der BfR-Website zum Thema Viren in Lebensmitteln
Wissenschaftliche Veröffentlichung zu Polyomaviren in Rindfleisch
Quelle: Bundesinstitut für Risikobewertung