18 Aug 2015

Kontroverse um die Putenhaltung

Putenhalter schütteln den Kopf über Diffamierung durch Tierschutzbund:
„Verbandsklage darf kein Instrument gegen Nutztierhaltung werden“

Über die Vorwürfe, die der Deutsche Tierschutzbund in einer Pressemeldung gegen die deutsche Putenhaltung erhebt, kann Thomas Storck nur den Kopf schütteln. „Offenbar hat der Tierschutzbund die Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht wahrgenommen“, kritisiert der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Putenerzeuger (VDP) und Vizepräsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Konkret bezieht sich Storck damit auf die Bundeseinheitlichen Eckwerte für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen, deren Novelle im Oktober 2013 nach mehrjährigen Beratungen der deutschen Putenwirtschaft mit Wissenschaft, Behörden und eben auch vier Tierschutzorganisationen in Kraft getreten ist. Auch der Deutsche Tierschutzbund, so betont Storck, sei vom VDP zu den Beratungen eingeladen worden – habe eine Teilnahme aber abgelehnt.

Dass der Tierschutzbund nunmehr im Kontext mit einem Putenstallneubauvorhaben in Nordrhein-Westfalen die Putenhaltung als „tierschutzwidrig und nicht artgerecht“ und die Putenzucht als „Qualzucht“ bezeichne, seien haltlose Unterstellungen. Eine derart pauschale Diffamierung im Kontext eines Baugenehmigungsverfahrens bestätige die Befürchtung, dass das Instrument der Verbandsklage von Tierschutzorganisationen missbräuchlich eingesetzt werden könnte, um die Nutztierhaltung in Deutschland insgesamt auszubremsen. „Das dürfte kaum im Sinne des Gesetzgebers sein“, sagt Storck und verweist auf das ohnehin intensive baurechtliche Genehmigungsverfahren, das bereits die Einhaltung sämtlicher Vorschriften prüfe. Eine vom Tierschutzbund offenbar angestrebte kampagnenartige Vorgehensweise könne insbesondere in viehstarken Regionen Nordrhein-Westfalens oder Niedersachsens zum Erliegen jedweder Genehmigungstätigkeit führen, warnt Storck: „Die Verbandsklage als Instrument kann sinnvoll sein, wenn es um konkrete tierschutzrechtliche Verstöße geht. Zur Unterstützung eines ideologisch geprägten Vorgehens mit dem Ziel, die heutige Nutztierhaltung grundlegend ändern oder abschaffen zu wollen, eignet sie sich nicht.“

Zu den Vorwürfen durch den Deutschen Tierschutzbund sagt Thomas Storck weiter:

„Das deutsche Tierschutzrecht setzt – insbesondere im europäischen Vergleich – hohe Standards und gewährleistet einen umfassenden Schutz der Tiere.

In Deutschland besteht eine enge Kontrolldichte (betriebliche Eigenkontrollen, Kontrollen im Rahmen des QS-Systems und amtliche Kontrollen), welche die Einhaltung der hohen Standards gewährleistet.

Mit den erst Ende 2013 novellierten Puten-Eckwerten haben wir als deutsche Putenhalter uns zudem auf verbindliche, konkrete und rechtsähnliche Haltungsstandards verpflichtet. In der deutschen Nutztierhaltung wegweisend ist das von der deutschen Putenwirtschaft in Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen, Wissenschaftlern und Behörden etablierte Gesundheitskontrollprogramm als zusätzliche Kontrollinstanz: Anhand wichtiger Tierschutzindikatoren werden relevante Befunddaten erfasst und ausgewertet, die dem Halter als Korrektiv dienen, sodass er bei eventuellen Auffälligkeiten in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt ein Optimierungskonzept erarbeiten kann.

In der Putenzucht finden seit einigen Jahren verstärkt tierwohlrelevante Parameter Berücksichtigung, was sich heute unmittelbar positiv in der praktischen Putenhaltung durch insgesamt gesündere und fittere Tiere widerspiegelt.“

Quelle: ZDG Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V.

Pressemeldung des Deutschen Tierschutzbundes vom 17.08.2015 im Wortlaut:

Erste Schritte zur Verbandsklage eingeleitet:
Einwendungen gegen Bauvorhaben eines Mastputenhalters in Nordrhein-Westfalen

Der Deutsche Tierschutzbund und sein Landestierschutzverband Nordrhein-Westfalen erheben Einwendungen gegen das Bauvorhaben eines Putenmästers in Nordrhein-Westfalen (NRW). Daher haben die Verbände ihre Einwendung bei dem zuständigen Bauamt im Landkreis Warendorf eingereicht. Der beantragte Stallbau entspricht nach den vorliegenden Unterlagen einer klassischen konventionellen Tierhaltung: Die Tiere leben dort üblicherweise auf engstem Raum ohne Außenbereiche, mit unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten und ohne Ruheplätze. Aus Sicht der Tierschützer widerspricht eine solche Putenhaltung dem Tierschutzgesetz. Der Deutsche Tierschutzbund weist darauf hin, dass in den konventionellen Stallbauten Tiere eingesetzt werden, die die Kriterien einer Qualzucht erfüllen. Möglich ist die Einwendung der Tierschützer dank des Verbandsklage- und Mitwirkungsrechts für anerkannte Tierschutzorganisationen in NRW.

„Die vorgesehene Putenhaltung wäre tierschutzwidrig und nicht artgerecht. Wir haben nun umfangreiche Einwendungen eingereicht, weil wir im Grundsatz geklärt wissen wollen, ob solche Stallanlagen überhaupt noch genehmigungsfähig sind. Sollten diese Einwendungen nicht beachtet werden, gehen wir die weiteren Schritte bis zur Verbandsklage. Das gilt jetzt hier in Nordrhein-Westfalen, wir hoffen aber auf Signalwirkung auch auf andere Länder“, so Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.
Bisher gibt es keine gesetzliche Grundlage zur Haltung von Puten, lediglich freiwillige Vereinbarungen und den groben Rahmen des Tierschutzgesetzes. In Deutschland leben jährlich etwa 37 Millionen Puten in konventioneller Haltung. Sie werden häufig zu mehreren Zehntausenden in Ställen zusammengepfercht. Erlaubt sind laut der freiwilligen Vereinbarung der Putenwirtschaft bis zu 52 bzw. 58 Kilogramm pro Quadratmeter Bodenfläche; das sind etwa drei Hähne bzw. fünf Hennen eng gedrängt. Aufgrund der Zucht auf hohe Mastendgewichte und einen hohen Anteil an Brustmuskelfleisch (Putenbrust) leiden die Tiere unter Gleichgewichtsstörungen, schmerzhaften Fehlstellungen und Degenerationen der Beine. Der Platzmangel, die strukturlose und enge Umgebung sowie die angezüchteten Probleme des Bewegungsapparates verhindern, dass Puten ihr arteigenes Verhalten ausleben können. Die Folgen sind Schmerzen und Leiden sowie massive Verhaltensstörungen, wie Federpicken und Kannibalismus, die bis zum Tod der Puten führen können.

Hintergrund Verbandsklage
Die Tierschutz-Verbandsklage, die mittlerweile in sieben Bundesländern eingeführt wurde und in mehreren anderen Bundesländern auf der politischen Agenda steht, ist ein zentrales Element zur Umsetzung des im Grundgesetz verankerten Staatsziels Tierschutz. Sie hilft, geltendes Tierschutzrecht durchzusetzen und einen Ausgleich zwischen den Interessen von Tiernutzern und dem Tierschutz herzustellen.

Quelle: Deutscher Tierschutzbund e. V.

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