27 Sep 2015

Einschätzung des BfR zu epidemiologischen Studien über kanzerogene Effekte von Glyphosat in der EU-Wirkstoffprüfung

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung von Glyphosat mehr als 1000 Studien, Dokumente und Veröffentlichungen umfassend geprüft und ausgewertet. Dazu gehören u.a. epidemiologische Studien zur Bewertung der Kanzerogenität von Glyphosat. Das BfR kommt bei diesen Studien zu einer vergleichbaren Einschätzung wie die 27 anderen Pestizid-Bewertungsbehörden der Europäischen Union und auch anderer Länder sowie die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC).

Die Hinweise für die Kanzerogenität von Glyphosat beim Menschen sind auf Basis der epidemiologischen Studien lediglich begrenzt („limited evidence in humans“). Dies wurde in einer Hintergrundinformation am 22. September 2015 publiziert.

Obwohl diese Bewertung durch das BfR in der internationalen wissenschaftlichen Fachwelt bisher unstrittig ist, werden aufgrund von zunehmenden Anfragen an das BfR im Folgenden diejenigen Studien, die angeblich Hinweise zu Krebsgefahren beim Menschen enthielten, weiter erläutert.

1. Sachstand

In der Presse und Öffentlichkeit wird derzeit über die fachliche Relevanz einiger epidemiologischer Studien zu möglichen kanzerogenen Glyphosatwirkungen (Studie von DeRoos et al., 2003, Studie von Hardell et al, 2002, sowie Studie von Arbuckle et al., 2001) diskutiert. Das BfR hat über diese Studien umfangreich im überarbeiteten Bewertungsbericht (RAR) berichtet. Aufgeführt wurden der gesamte, unveränderte Abstrakt, also die Zusammenfassung und die Schlussfolgerung der Studienautoren.

Zudem wurde in dem Bericht des BfR kommentiert, dass in den vorliegenden wissenschaftlichen Originalarbeiten zur Durchführung der epidemiologischen Studien im Einzelfall wichtige fachliche Informationen fehlen, die zur Beurteilung der Belastbarkeit der Aussage notwendig sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dadurch diese Studien aus der Gesamtbewertung von Glyphosat herausgenommen oder dass die Studienergebnisse deshalb nicht berücksichtigt wurden.

Der derzeit in Diskussion stehende kommentierte erste Entwurf des BfR-Berichtes wurde inzwischen zweimal überarbeitet und anschließend durch ein Addendum zum Bericht der IARC (2015) ergänzt. Die Bewertung der epidemiologischen Studien zur Kanzerogenität von Glyphosat am Menschen durch das BfR entspricht dabei weitgehend der Bewertung durch die IARC. In Bezug auf epidemiologische Studien wendet das BfR in seiner Stellungnahme zum IARC-Bericht auch die im IARC-Bericht angegebenen Kriterien an, um somit eine Vergleichbarkeit überhaupt herzustellen zu können. Darüber hinaus wurden Regeln einschlägiger Richtlinien, wie z. B. die sog. STROBE-Kriterien verwendet.

2. Wissenschaftliche Einschätzung

Bewertung der Studie von DeRoos et al., 2003

Zur Studie von DeRoos et al. (2003) wurde im RAR umfangreich berichtet. Dazu wurde der gesamte Abstrakt der Untersuchung dargestellt. Zusätzlich wurden in einem Kurzkommentar aber darauf hingewiesen, dass verschiedene Confounder („Störfaktoren“) nicht berücksichtigt worden sind.

Die Studie von DeRoos et al., 2003 ist eine Analyse von Daten, die aus 3 Einzelstudien (Zahm et al., 1990; Hoar et al., 1986; Cantor et al., 1992) zusammengeführt wurden. Über die Vorgehensweise bei der Kombination und der Auswertung der sehr unterschiedlichen Datensätze wird in der Publikation allerdings nicht berichtet:

Bei der Studie von Zahm et al., wird ein ganz anderer Stoff untersucht, nämlich 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure (kurz 2,4-D), welcher auch nicht mit Glyphosat chemisch verwandt ist. Die Studie ist daher völlig ungeeignet für eine Bewertung von Glyphosat.

Die Studie von Hoar et al., befasst sich nicht mit dem Wirkstoff Glyphosat, sondern nennt nur allgemein „Herbizide“ als untersuchten Faktor.

In der Studie von Cantor et al., wird zwar über Rauchgewohnheiten der erfassten Personen berichtet, aber nicht über andere mögliche Störfaktoren, die im Kommentar des BfR zu der Studie von DeRoos et al., 2003, angeführt worden sind (wie zum Beispiel die Verwendung von verordneten Medikamenten).

Ungeachtet aller dieser fachlichen Limitierungen wurde die Studie von DeRoos et al. nicht von der Bewertung ausgeschlossen. Die Studie wurde entgegen anders lautender Vermutungen in der Öffentlichkeit und in der Presse als ganz wesentlich in die BfR-Bewertung der Kanzerogenität von Glyphosat am Menschen einbezogen und im Jahr 2015 in Reaktion auf den Bericht des IARC (2015) noch einmal überprüft.

Diese Bewertung kam zu dem Ergebnis, dass aus der Studie keine zweifelsfreien fachlichen Belege („no unequivocal evidence“) für einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Exposition und Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) hervorgehen. Es wurde weiterhin noch einmal bestätigt, dass die Studie Mängel bei der Berichterstattung („limitations of the reporting“) aufweist. Diese Mängel bestehen insbesondere bei der Beschreibung von Studiendesign, Analyse und Ergebnissen.

Die Bewertung durch das BfR stimmt dabei weitgehend mit der Bewertung durch die IARC (2015) überein. Sowohl von der IARC (2015) als auch vom BfR wird zusammenfassend eingeschätzt: „geringe Aussagekraft, um die Risiken von mit Glyphosat-assozierten Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) zu bewerten („low power of the study to assess risk of NHL associated with glyphosate“ und „not controlled for exposure to other pesticides“, IARC 112).

Bewertung der Studie von Hardell et al, 2002

Die Studie Hardell et al. (2002) wurde ebenfalls umfangreich im RAR berichtet. Zusätzlich wurden Einschränkungen der Studie kommentiert. Es wurde dazu mitgeteilt, dass der Studienbericht keine Angaben über Expositionsdauer, Expositionskonzentration, Krankengeschichte und Lifestylefaktoren enthält.

In der Studie werden zwei Studien zusammengeführt, die unterschiedliche toxikologische Endpunkte (NHL, hairy cell leukemia) betrachten. Diese Zusammenlegung ist in diesem Einzelfall nicht nur biologisch zu hinterfragen. In der statistischen Methodik ist ein solches Vorgehen, ohne fachliche Begründung unterschiedliche toxikologische Endpunkte zu kombinieren, fachlich nicht akzeptiert und wird auch vom BfR aus toxikologischer Sicht kritisiert.

Die aufgeführten Mängel haben gleichwohl nicht dazu geführt, die Studie von der Bewertung auszuschließen. Übereinstimmend mit der Bewertung durch IARC (2015) wurde vom BfR festgestellt, dass die Studie eine geringe Aussagekraft („limited power“) aufweist. Die Studie wurde auch nach nochmaliger Überprüfung durch das BfR im Jahr 2015 als nicht zuverlässig („not reliable“) sowie als nicht relevant für die Verbindung zwischen Glyphosat und NHL („not relevant for the link between glyphosate and NHL“) bewertet.

In der Studie von Hardell et al., 2002 sind folgende Primärstudien eingegangen: Hardell and Eriksson, 1999; und Nordström et al., 1998.

In der Studie von Nordström et al. (1998) wird mitgeteilt, dass die betroffenen Personen nach ihrem Berufsleben („working history“) und über Informationen über die verschiedenen Expositionen und Freizeitaktivitäten („information about various exposures and leisure time activities“) befragt worden seien. Diese Informationen sind jedoch in der Untersuchung fachlich mangelhaft erläutert. Es kann nicht beurteilt werden, inwieweit das Studienergebnis durch Zufall, Bias oder Störfaktoren beeinflusst worden sein könnte.

Zu der Studie von Hardell and Eriksson (1999) wird mitgeteilt, dass die betroffenen Personen zu vorherigen Arbeitsverhältnissen, Rauchgewohnheiten, Vorerkrankungen und Ernährungsgewohnheiten befragt worden seien. Die Ergebnisse dazu werden jedoch in der Publikation nicht berichtet und es geht aus der Studie auch nicht hervor, inwieweit diese oder andere Faktoren, Bias oder Zufall das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Übereinstimmend mit der Bewertung von IARC (2015) kommt das BfR zu dem Ergebnis, dass die Studie eine begrenzte Aussagekraft besitzt, um Effekte zu erkennen („limited power to detect an effect“).

Bewertung der Studie von Arbuckle et al., 2001

Die Studie von Arbuckle et al. (2001), in der es nicht um das Thema Kanzerogenität geht, wird im RAR ausführlich beschrieben und kommentiert. In diesem Bericht wird u. a. der gesamte Abstrakt der Studie unverändert dargestellt, so dass die Möglichkeit gegeben ist, die Schlussfolgerungen der Studienautoren im Original zur Kenntnis zu nehmen. Es wird im Zusammenhang mit der Studienbeschreibung auch noch über eine Kritik an dieser Studie durch eine andere Wissenschaftlergruppe berichtet

Außerdem wird die Publikation von Arbuckle et al. (2001) an verschiedenen anderen Stellen im RAR zitiert, da andere Arbeiten sich darauf bezogen haben. In der zusammenfassenden Darstellung wird diese Studie nicht erwähnt, da sie keine reproduktionstoxikologischen Effekte von Glyphosat am Menschen nachgewiesen hat. Somit ist auch die triviale Bezeichnung „Schwangerschafts-Gift“, wie sie teilweise mit Glyphosat in Zusammenhang gebracht wird, durch diese Studie nicht belegt, wissenschaftlich nicht begründbar und auch irreführend.

In der Öffentlichkeit und in der Presse wurden zusätzlich zu den o.g. Untersuchungen auch noch folgende Studien zur Kanzerogenität von Glyphosat diskutiert:

Bewertung der Studie von Orsi (2009):

In Übereinstimmung mit der IARC sind für das BfR keine Assoziationen zwischen Glyphosat und NHL erkennbar. Die Autoren selbst haben in ihrer Ergebniszusammenfassung keine positive Assoziation zwischen Tumoren des lymphatischen Systems einschließlich NHL und Glyphosatexposition für berichtenswert erachtet.

Bewertung der Studien von Brown (1990, 1993):

In Übereinstimmung mit der IARC wurde die Aussagekraft der Studie durch das BfR als gering eingeschätzt, um Effekte von Glyphosat nachzuweisen. Die Autoren kamen zu folgender Schlussfolgerung: „This study, where over half of the subjects were farmers, found little evidence of an association between risk of MM and farming. These data also do not provide strong support for an association with specific agricultural chemicals.”

Die Studien wurden entsprechend der Vorgaben der EFSA im ersten Entwurf des RAR nicht berichtet, da sie vor dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden. Im Anhang des RAR wurden sie jedoch im Vergleich mit der IARC-Bewertung diskutiert.

Bewertung der Studie von Cocco (2013):

In der umfangreichen epidemiologischen Studie von Cocco et al. (2013, bereits 2012 online publiziert) wurde in insgesamt 6 europäischen Ländern ein möglicher Einfluss des berufsmäßigen Umgangs mit Pflanzenschutzmitteln auf die Erkrankungshäufigkeit an Lymphomen im Allgemeinen und an B-Zell-Lymphomen und ihren verschiedenen Subtypen untersucht. Dabei wurde für die Wirkstoffklasse der Organophosphate ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) festgestellt (OR 2,7; d.h. 2,7fache Erhöhung des Risikos bei einem Vertrauensintervall von 1,2 – 7).

Von den Autor/innen wird, neben einer Reihe anderer Wirkstoffe, Glyphosat zu den Organophosphaten gerechnet. Aus chemisch-toxikologischer Sicht gibt es allerdings grundsätzliche Unterschiede zwischen Glyphosat und den als Hemmstoffen der Cholinesterasen bekannten Organophosphaten.

Da sich die Daten zur CLL auf Organophosphate insgesamt beziehen und nicht Glyphosat als Einzelsubstanz bewertet wird, ist diese Analyse für den Wirkstoff Glyphosat nicht aussagefähig. In einer weiteren Auswertung wurde eine Exposition gegenüber Glyphosat im Zusammenhang nur mit B-Zell-Lymphomen betrachtet. Hier standen 4 Erkrankungsfällen mit einer vorherigen Exposition 2 ebenfalls exponierte, nichterkrankte Kontrollpersonen gegenüber. Diese Fallzahlen sind für eine fachlich belastbare Auswertung zu niedrig. Es ergab sich zwar ein um das 3,1fache erhöhtes Risiko, doch war das Vertrauensintervall von 0,6 bis 17,1 extrem weit.

3. Literatur

Die vollständige Referenzliste kann bei Interesse unter bfr@bfr.bund.de angefordert werden.

Weitere Informationen zum Thema stellt das BfR auf seiner Website zur Verfügung.

Quelle: Hintergrundinformation Nr. 034/2015 des BfR vom 28. September 2015

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