24 Okt 2014

Eine Frage der Haltung – neue Wege für mehr Tierwohl

Am 6. Oktober 2014 ist in Berlin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstmals der Kompetenzkreis Tierwohl zusammengekommen. Der von Bundesminister Christian Schmidt eingesetzte Beraterkreis wird die Umsetzung der Tierwohl-Initiative Eine Frage der Haltung – neue Wege für mehr Tierwohl für den Bereich Nutztiere begleiten. Unter der Leitung des ehemaligen niedersächsischen Landwirtschaftsministers Gert Lindemann soll das Gremium das BMEL insbesondere bei der Folgenabschätzung politischer Maßnahmen und bei der Erarbeitung von Indikatoren unterstützen.

Die Zusammensetzung des Kompetenzkreises repräsentiert die Vielfalt der Positionen und Perspektiven rund um das Thema Tierwohl. Zu den 16 Mitgliedern zählen ausgewählte Persönlichkeiten, die bereits in der Vergangenheit wichtige Beiträge im Bereich des Tierschutzes in der Nutztierhaltung geleistet haben. Um effektiv zu arbeiten, sei es nicht möglich, dass sämtliche betroffene Institutionen, Verbände und Nichtregierungsorganisationen in dem Gremium vertreten seien. Zu spezifischen Themen können Expertenrunden und weitere Akteure zu einzelnen Schwerpunkten die fachlichen Diskussionen erweitern. In Kürze wird das BMEL erste Eckpunkte für ein Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Haltungseinrichtungen vorlegen und auch den Kompetenzkreis um seine fachliche Stellungnahme bitten.

Der Kompetenzkreis soll auch die Erarbeitung freiwilliger Vereinbarungen über den Ausstieg aus nicht-kurativen Eingriffen (z.B. das Kürzen der Schnäbel bei Geflügel und das Kupieren der Schwänze bei Schweinen) beratend begleiten.

Eckpunktepapier

Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. Ihr Wohlbefinden ist eine Verpflichtung für alle Menschen, die mit Tieren umgehen. Der Tierschutz steht seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz und ist damit eine verbindliche Leitlinie für das Regierungshandeln. Tierwohl ist zunehmend auch ein Anliegen der Gesellschaft. Verstärkter Tierschutz ist in Umfragen ein Wunsch von 85 Prozent der Befragten.

Mit der Initiative „Eine Frage der Haltung“ setzt das BMEL die Tierwohl-Offensive des Koalitionsvertrages um. Viele Vorschläge und Maßnahmen werden bereits von Tierschutzverbänden, der Wirtschaft, den Ländern sowie der Wissenschaft erarbeitet. Die Brancheninitiative Tierwohl von Deutschem Bauernverband und Handel und das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes sind freiwillige Maßnahmen, die praktische Fortschritte beim Tierschutz mit Mehrwert für Erzeuger und Verbraucher verbinden.

Diese wichtigen Beiträge brauchen einen bundesweit einheitlichen Rahmen, um eine Verbesserung der Tierhaltung in der Breite zu erreichen. Das BMEL übernimmt deshalb mit seiner Initiative die Koordinierung für jene Herausforderungen, die einer Zusammenführung und ggf. auch Rechtsetzung auf Bundesebene bedürfen. Nur so können Verbesserungen beim Tierschutz in Deutschland flächendeckend erfolgen. Die Initiative versteht sich als Gemeinschaftswerk von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft und als laufender Prozess.

Ziel der Initiative ist es, Verbrauchern und Tierhaltern einen verlässlichen Rahmen zu bieten, um mit ihren Konsum- und Investitionsentscheidungen die Tierhaltung in Deutschland wirksam zu verbessern. „Eine Frage der Haltung“ stellt sich im Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren aber auch mit Versuchstieren und Begleittieren wie z.B. Pferden.

Eine Verbesserung des Tierwohls verlangt eine sorgfältige Abwägung tierschutzfachlicher, ethischer und wirtschaftlicher Aspekte. Denn die Tierhaltung ist ein wesentliches Standbein unserer landwirtschaftlichen Familien. Ziel der Initiative sind deshalb konkrete und messbare Verbesserungen des Tierwohls, die sich am wirtschaftlich und wissenschaftlich Machbaren orientieren. Die Initiative ist damit auch ein Beitrag für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung in Deutschland.

Leitprinzip der Initiative ist die „verbindliche Freiwilligkeit“. Die Initiative setzt zunächst auf die Eigeninitiative der Wirtschaft. Wo das Engagement der Wirtschaft nicht zu den notwendigen Verbesserungen führt, kann aber auch eine Änderung des Rechtsrahmens erforderlich sein.
Eckpunkte der Initiative des BMEL

1. Tierschutz bereits bei der Entwicklung serienmäßig hergestellter Stalleinrichtungen verpflichtend prüfen
Bereits der Hersteller einer Stalleinrichtung muss künftig ein Typenzulassungsverfahren für jede neue Einrichtung durchlaufen, bei dem Experten die Stalleinrichtung umfassend unter dem Gesichtspunkt des Tierschutzes prüfen. Erfahrungen mit solchen Zulassungsverfahren gibt es bereits in Schweden, in der Schweiz und in Österreich. In einem ersten Schritt wird dies für den Legehennenbereich vorgeschlagen. Nach Erörterung des Zulassungsverfahrens mit allen betroffenen Kreisen wird das BMEL im 1. Halbjahr 2015 einen Verordnungsentwurf vorlegen.

2. Nicht-kurative Eingriffe bei Nutztieren beenden
Haltungseinrichtungen und Haltungsmanagement müssen sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen – nicht umgekehrt. Für einen raschen Einstieg setzt das BMEL dabei auf freiwillige Vereinbarungen der Wirtschaft mit verpflichtenden Zeitvorgaben zum Verzicht auf das Kupieren eines Teils der Schwänze bei Schweinen, das Kupieren eines Teils der Oberschnäbel bei Legehennen und Puten sowie das nicht schmerzfreie Enthornen von Rindern. BMEL bringt Wissenschaft, Wirtschaft und Tierschutzverbände zusammen und moderiert den Prozess zu solchen verbindlichen Ausstiegsvereinbarungen. Im 1. Quartal 2015 soll der Entwurf einer freiwilligen Vereinbarung vorliegen, mit dem Ziel eine wirksame Selbstverpflichtung der Wirtschaft im 3. Quartal 2015 zu erreichen. Der Zeitplan wird sich an den Fortschritten in Wissenschaft und Praxis orientieren, die das BMEL mit Forschung und Modell- und Demonstrationsvorhaben finanziell fördert.

3. Sachkunde der Tierhalter verbessern
Die tierschutzgerechte Behandlung, Versorgung und Tötung von Tieren wird durch höhere Kenntnisse und Fähigkeiten von Personen, die mit landwirtschaftlichen Nutztieren umgehen, verbessert werden. Dazu sollen 2015 mit allen Stakeholdern die rechtliche Verankerung weiterer Anforderungen an die Sachkunde von Personen diskutiert und die Schlussfolgerungen umgesetzt werden. Insbesondere bei großen Tierhaltungsanlagen kann es zielführend sein, einen Experten mit entsprechender fachlicher Ausbildung als Tierschutzbeauftragten zu bestimmen.

4. Tierschutz bei Schlachtung von Tieren weiter entwickeln
In die Tierschutz-Schlachtverordnung werden bis Ende 2015 Anforderungen an das Hältern, Betäuben und Töten von Fischen und Krebstieren und wo erforderlich weitere Anforderungen an das Töten warmblütiger Tiere aufgenommen. Die aktuell in den Fokus gerückte Problematik des Schlachtens hochträchtiger Tiere ist eine Herausforderung an alle Wirtschaftsbeteiligten, solche Schlachtungen zu verhindern. Das BMEL fokussiert diese Anstrengungen durch Initiativen auf EU-Ebene und durch Forschung und – falls erforderlich – auch durch Rechtsänderungen. 5. Verbraucherbewusstsein stärken – Initiativen von Wirtschaft und Tierschutzbund zusammenführen Das wachsende Bewusstsein der Verbraucher führt zu Forderungen an die Tierhalter, die mit erheblichen Kosten verbunden sind. Das BMEL begrüßt deshalb alle Maßnahmen, die nachfrageseitig zur Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen beitragen. Das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, dessen Weiterentwicklung vom BMEL unterstützt wird und die Brancheninitiative Tierwohl geben dem Verbraucher die Chance, Tierschutz mit dem Einkaufskorb zu unterstützen. Konkrete Verbesserungen beim Tierschutz zahlen sich dank solcher Initiativen auch für die Erzeuger aus. Sie werden umso wirksamer sein, wenn sie aufeinander abgestimmt werden.

6. Tierschutz auf internationaler und EU-Ebene voranbringen
Auf EU-Ebene und im Rahmen internationaler Organisationen (OECD, OIE) sollen einheitliche und höhere Tierschutzstandards vorangebracht werden. Hierzu dient insbesondere der bis Ende 2014 geplante Abschluss einer gemeinsamen Erklärung mit Dänemark und den Niederlanden für eine konsequente Weiterentwicklung des Tierschutzniveaus in der EU. Für eine bessere Information der Verbraucher wird BMEL bei der neuen EU-Kommission für ein EU-Tierschutzlabel eintreten.

7. Forschung für mehr Tierwohl stärken
Die Grundlagen und Rahmenbedingungen für den Tierschutz werden insbesondere durch das Kompetenzzentrum Tierschutz mit aufzubauendem Netz von Demonstrationsbetrieben (Start Anfang 2015), die Entwicklung und standardisierte Bewertung von Tierschutzindikatoren (bis Ende 2015), die Verbesserung der Haltungssysteme und Forschung u.a. zu gesellschaftlichen Erwartungen an die Tierhaltung (z.B. „Social lab“ im Rahmen des Innovationsprogramms des Thünen-Instituts u.a.) verbessert. Die Forschungsstrategie „Tier“ der Deutschen Agrarforschungsallianz wird dabei berücksichtigt. Die Tötung von 45 Millionen männlicher Küken pro Jahr muss beendet werden. Ergebnisse des Forschungsprojekts zur Geschlechtsbestimmung in Hühnereiern werden voraussichtlich Anfang 2015 vorliegen. Das BMEL wird den Transfer eines erfolgreich entwickelten Verfahrens der Geschlechtsbestimmung im Ei in die breite Praxis aktiv begleiten und sich für ein rasches Ende der Tötungspraxis einsetzen. Im Regierungsentwurf für den Haushalt des BMEL 2015 sind 5 Millionen Euro Bundeszuschüsse für Modell- und Demonstrationsvorhaben im Bereich Tierschutz ausgewiesen. Auch die Ressortforschung des BMEL, die Förderung tiergerechter Haltungsverfahren im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und die Zuschüsse zur Förderung des ökologischen Landbaus und anderer nachhaltiger Formen der Landwirtschaft leisten wichtige Beiträge für mehr Tierschutz. Der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik wird mit seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ einen wertvollen Beitrag zur Tierwohl-Initiative liefern. Hierbei soll wie auch in den bereits laufenden Forschungsprojekten auch die Frage von Größen tiergerechter Haltung von Nutztieren diskutiert werden.

8. Kompetenzkreis Tierwohl
Zur laufenden Rückkopplung zwischen BMEL und allen Stakeholdern wird im Oktober 2014 ein „Kompetenzkreis Tierwohl“ für die Dauer von zwei Jahren berufen. Praktiker, Wissenschaftler, Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und berufsständiger Organisationen, Tierschutz- und Verbraucherverbänden und Kirchen sollen die Umsetzung der Tierwohl-Initiative begleiten und ergänzende Vorschläge unterbreiten.

9. Zahl der Versuchstiere begrenzen
Die Zahl der Versuchstiere ist auf das unerlässliche Maß entsprechend der unabweisbaren wissenschaftlichen und sicherheitsbezogenen Anforderungen zu beschränken. Die „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ (ZEBET) wird weiter ausgebaut und intensiviert ihre Aktivitäten in der Ersatzmethodenforschung sowie Beratung von Behörden und Forschern. ZEBET engagiert sich künftig zusätzlich für die Verbesserung der Haltungsbedingungen für Versuchstiere (Refinement). Im Zusammenhang mit der überarbeiteten Rechtslage zum Schutz von Versuchstieren übernimmt ZEBET neue Aufgaben der Dokumentation und Beratung.

Neben der Förderung der Ersatzmethodenforschung durch das BMBF zeichnet das BMEL herausragende Arbeiten jährlich durch den Tierschutzforschungspreis aus und unterstützt die Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen.

10. Mehr Tierschutz auch für Haus- und Begleittiere
Gemeinsam mit Ländern und Kommunen werden Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Welpenhandels vorangetrieben.

Das BMEL vergibt gemeinsam mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in den verschiedenen Disziplinen einen Tierschutzpreis für den besonders tierschutzfreundlichen Umgang mit dem Pferd. Die vom BMEL herausgegebenen Gutachten und Leitlinien werden auf das Erfordernis der Anpassung an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand überprüft und ggf. entsprechend einer Prioritätsbewertung überarbeitet. Für nicht domestizierte Tiere in Obhut des Menschen wurde das neue Säugetiergutachten bereits am 7. Mai 2014 vorgestellt.

Quelle: BMEL

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