25 Feb 2016

Jan Grossarth, Wirtschaftsredakteur der FAZ und dort der Spezialist für Landwirtschaft, hat ein Buch geschrieben. „Vom Land in den Mund“ heißt es und verspricht zu erklären, warum (und wie) sich die Nahrungsindustrie neu erfinden muss.

Zur Vorstellung seines Plans für eine Neuausrichtung braucht der Autor nur zwölf Seiten und die stehen ganz am Ende. Vorher nimmt er den Leser aber mit auf seine ganz persönliche Reise durch die Landwirtschaft und erzählt von seinen Begegnungen mit Kleinbauern wie Agrarindustriellen. Im Verlauf der letzten fünf Jahre hat er sich dem Thema genähert. Das macht sein Fazit – auch für jene die ihm darin vielleicht nicht folgen mögen – für seine Leser nachvollziehbar.

Aber zuerst nagelt er der Branche 21 Thesen ans Hoftor! In so vielen kurzen Kapiteln nämlich (das Buch zählt insgesamt 160 Seiten) beschreibt er seine Begegnungen mit Landwirten und der Nahrungsindustrie. Vom ziemlich schrägen Selbstversorger mit Sense bis zur Mais-Monokultur in den USA, von der weltweiten Vermarktung der Speckigkeiten vom Schwein, bis zur einfühlsam geschilderten Geschichte der Ex-Ministerin Grotelüschen spannt er den Bogen.

Manchmal überspannt er ihn auch ein wenig, in seiner Begeisterung für die Idylle in Bio oder auch im Vogelsberg. Wenn er etwa schreibt, die „Leute aus der Agrarindustrie“ sagten oft, „sie würden dies und das auch gerne anders machen, aber der Markt wolle nicht. Vielleicht müssen sie sich dann nicht wundern, wenn sie nur als Lobbyisten eines finsteren Systems wahrgenommen werden.“ Können etwa Mercedes und BMW einfach nur noch kleine Elektroautos bauen, statt riesiger SUVs und so den feinstaub besiegen?

Wer aber Grossarths Artikel aus der FAZ kennt (und sich speziell an jenen erinnert, in dem er Herz und Hirn über die Landwirtschaft streiten lässt) weiß, dass er die Realität nie ganz aus dem Blick verliert. Weil es bei Landwirtschaft eben auch um Wirtschaft geht.

Er fasst in seinem Buch die kleinen wie die großen Themen an. Beschreibt wie die kleine Frankfurter Samenhandlung – mit leichter Flapsigkeit, aber ohne künstliche Inszenierung – Kunden bindet und damit der Großindustrie etwas vor machen könnte. Aber auch die ganz großen Fragen weltweit steigender Nachfrage bei gleichzeitig knappen Flächen, endliche Ressourcen und die Konsequenzen der Bioökonomie kommen aufs Tapet.

Und (siehe oben) am Ende steht sein Fazit: Dass Landwirtschaft mehr leisten muss, als effiziente Produktion. Multifunktional auch Landschaftspflege, Klimaschutz, Naturbewahrung und guten Umgang mit Tieren zum Ziel haben soll. Weil „die Leute hier satt sind und jetzt Appetit auf Werte haben“. Weil, was der Bauer Acker nennt „und als seine private Plantage empfindet, für die Nachbarn und Radfahrer auch ein bisschen Schmetterlingszuhause sein soll“.

Ohne Industrie, Effizienz und Großbetrieb wird die Menschheit in Zukunft aber nicht satt werden. Das weiß und betont auch der Autor und scheut gar nicht davor zurück, Heuschrecken-Burger anzubieten und Grillen wegen ihrer einmaligen Futterverwertung zu loben („Von einer Grille seien achtzig Prozent essbar, von einem Rind nur vierzig Prozent. Allerdings hat die Grille nicht so schönes Fell.“)

Er lobt das Manifest der „Ecomodernists“ (ganz zu Recht) und fordert für die Zukunft Phantasie und Produktdifferenzierung („Dann gäbe es viele Zwischenstufen: nicht nur billig und bio.“) Bewusst ist ihm aber auch, „dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung über keinerlei Vermögen verfügt oder sogar Schulden hat. Mit anderen Worten: sie leben von der Hand in den Mund, schon heute und in Zeiten des oft gescholtenen „Billigessens“.)

Jan Grossarth ist sich der Komplexität seines Gegenstandes und dessen zahlreicher Zielkonflikte wohl bewusst (und hat damit den allermeisten seiner Journalistenkollegen viel voraus). Die nötige Einstellung, um sich bei der Suche nach zukunftsfähigen Lösungen nicht zu verirren, fasst er in einem Satz zusammen: „Es ist die große Kunst einer liberalen Haltung, Uneindeutigkeit zu ertragen, aber trotzdem nicht in Gleichgültigkeit zu verfallen.“

Zum Lesen:
Jan Grossart
Vom Land in den Mund
Verlag Nagel & Kimche
broschiert € 17,90

Zum Meckern, Loben, Diskutieren:
Der Autor auf Twitter
@jangrossarth

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