18 Jul 2015

Wunschkonzert statt Wissenschaft

Mal angenommen Sie haben eine Meinung, leiden aber unter einem gewissen Mangel an passenden Belegen, dann gibt es eine schnellen und einfachen Weg dieses Dilemma zu beheben: Die Praktiker-Methode (Sie wissen schon: „Ich bin doch nicht doof“). Das klappt sogar bei Wissenschaft, denn alles was Sie für Do-it-yourself-Forschung brauchen, ist ein klares Ziel.

Sagen wir mal Sie wollen die Menschheit vor Vergiftung schützen. Nicht durch Tabak, Alkohol oder Dieselruß, sondern vor Vergiftung durch Pflanzenschutzmittel (zunächst müssen Sie natürlich diesen Begriff aus Ihrem Wortschatz streichen und durch „Pestizide“ ersetzen oder lieber gleich „Ackergift“).

Und wo findet man nun das Zeug? Selbstverständlich auf dem Acker – aber das ist nicht wirklich überraschend. Im menschlichen Körper wäre schon besser, aber „Gift in der Muttermilch“ macht bei Weitem die schmissigste Schlagzeile.

Nun brauchen Sie nur noch Muttermilchproben (Freundinnen helfen da gerne aus) und ein Labor (Ihre Tierärztin hat bestimmt eine Adresse). Das Labor muss nicht akkreditiert (Lateinisch für „Glauben schenken“) und die Untersuchungsmethode nicht validiert sein (Lateinisch für „geeignet“), das wäre nur Ihrem Ziel im Weg. So gelingt der Nachweis eines Stoffes Ihrer Wahl und schon ist Ihre „Studie“ fertig.

Jetzt muss sie nur noch unters Volk gebracht werden. Altmodische Wissenschaftler veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften, die mit „Peer Reviews“ arbeiten, also Ergebnisse vor der Veröffentlichung durch unabhängige Fachleute überprüfen lassen. Das können Sie sich sparen, denn Ihr Ziel ist ja nicht, langwierige Fachdiskussionen loszutreten. Es geht schließlich um Breitenwirkung! Eine Pressemitteilung reicht deshalb völlig aus.

Zwar werden sämtliche Medien tagtäglich mit Meldungen überschüttet, in denen Firmen, Interessengruppen oder Kaninchenzüchtervereine vermelden, was ihnen mitteilenswert erscheint. Der Headline „Gift in Muttermilch“ aber wirkt ungleich besser als etwa „Riesenrammler Rudi räumt bei Rasseschau ab“.

Und schließlich ist auch auf Ihre Sympathisanten in den Redaktionsstuben Verlass: Junk Science meets Junk Journalism. So landet Ihre Horror-Story auch bei dpa auf Platz 1. Hat aber ein Verlag den Bezug von Agenturmeldungen, etwa aus Kostengründen, eingestellt, schreibt eben einer vom anderen ab und nennt das dann Recherche.

Zwar gibt es in Deutschland unabhängige Stellen, die sich mit allen möglichen Risiken für Verbraucher_Innen beschäftigen, diese jedoch um eine Stellungnahme zu bitten, fällt kaum einem Qualitätsjournalisten ein. Namentlich das BfR äußert sich auch zu den fragwürdigsten Veröffentlichungen, jedoch finden diese Reaktionen selten ihren Weg in die Berichterstattung.

Im Gegenteil: In letzter Zeit mehren sich die Versuche dem Bundesinstitut für Risikobewertung die fachliche Kompetenz abzusprechen oder gar Industrie-Lobbyismus zu unterstellen. Das jüngste Beispiel, in dem die SZ wissenschaftliche Diskussionsbeiträge mit Leserbriefen ans Heimatblättchen gleichsetzt, offenbart die Methode (oder einfach nur Ignoranz was Formen des wissenschaftlichen Diskurses betrifft).

Wenn aber Ahnungslosigkeit auf eine politische Agenda trifft, verfehlt die gern beschworene „4. Gewalt“ ihre Aufgabe komplett. Laut Pressegesetz erfüllt die Presse „eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.“ In vielen Fällen aber vermischen sich Nachricht und Stellungnahme und einige Pressevertreter greifen offenbar lieber gleich auf die „andere Weise“ zurück.

(Dies ist übrigens ein Kommentar von Thomas Wengenroth)

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