30 Jun 2016

Zukunft? Welche Zukunft? Bauerntag diskutiert über Nutztierhaltung 2030

Mittlerweile dürfte auch dem letzten Landwirt klar sein, dass die Branche vor großen Veränderungen steht. Und gleich zu Beginn des Forums 2 beim diesjährigen Bauerntag „Nutztierhaltung 2030“ betonte WLV-Präsident Johannes Röring auch die Gesprächs- und Veränderungsbereitschaft seiner Branche. Fügte aber sogleich an, statt der Agrarwende um 180 Grad, würden es 20 oder 30 Grad vielleicht auch tun.

Den Rahmen für die Diskussion im vollbesetzten Saal schufen vier Referenten, mit Analysen der Gegenwart und Prognosen für die Zukunft. Der Tusch zur Eröffnung kam von Prof. Harald Grethe (Humboldt Universität Berlin). Wie bereits im Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMEL, plädierte er für ein staatliches Tierwohl-Label, für dessen Produkte er 20% Marktanteil bei 20% höheren Preisen prognostizierte. Zur Finanzierung der notwendigen Veränderungen in der Nutztierhaltung sollen nach Meinung des Wissenschaftlers außerdem die Mittel der Initiative Tierwohl dienen und noch viel mehr das EU-Fördergeld aus der 2. Säule.

Die größte Wirkung erzielte er jedoch mit seiner Forderung, die Nutztierbestände in Deutschland zu halbieren. Aus Gründen des Klimaschutzes sei dies unumgänglich und er sähe auch kein Problem, tierische durch andere Lebensmittel zu ersetzen. Da herrschte zunächst mal Schweigen im Saal.

Wie weit wir bereits vorangeschritten sind, beim Ersatz von Fleisch und Wurst durch pflanzliche Imitate, zeigte Thomas Els (AMI) in seinem Vortrag eindrucksvoll. Auch wenn das Wachstum bei Tofuschnitzeln und Sojamilch erstaunlich ist, kommen immer noch 99% von allem was fleischig aussieht vom Tier. Und auch wer sich schon immer gefragt hat, wie bei Verbraucher-Umfragen unvermeidlich hohe Werte für „ich kaufe Bio“ zustande kommen, erhielt eine Antwort: Wenn 86% der Befragten „mindestens gelegentlich“ Bioprodukte kaufen, heißt das übersetzt „mindestens 1 x im Jahr“. Da passt dann auch der Bio-Marktanteil von 1,4 % wieder bestens.

Aus Sicht von Dr. Ludger Breloh (REWE) müssen sich Deutschlands Schweinehalter auf eine Zukunft mit viel längeren Preistälern einstellen und auf Erlöse, die vom Exportanteil bestimmt werden. Nur Vertikalisierung und integrierte Produktion könnten den Erzeugern ein Überleben sichern. Wenn auch der „Bereichsleiter Grüne Produkte“ vehement für solche „strategische Partnerschaften“ warb, verstanden die anwesenden Schweinehalter eher „Scheinselbstständigkeit“.

„Mehr Tierwohl heißt vor allem mehr Arbeit“, erklärte Dr. Albert Hortmann-Scholten (LWK Niedersachsen) gleich zu Beginn seines Vortrags über die wirtschaft¬lichen Konsequenzen der allgegenwärtigen Forderungen nach veränderten Haltungsformen fürs Vieh.

In einem Stall voller Ringelschwanzschweine, mit offenen Tränken, Stroh und Außenklima würde der Arbeitsaufwand gegenüber heute um 50% steigen. Ja sogar um 100%, lege man Werte aus dem Jahr 2000 und arbeitsoptimierte Systeme zugrunde. Ziemlich genau so arbeiteten heute aber die Spanier. Wenn hierzulande 5% der Schweinehalter aufgäben, kämen im sonnigen Süden 5% dazu. Und die verdienten auch noch Geld am Schwein: nämlich 10,- Euro pro Tier. Davon konnten deutsche Schweinehalter in diesem Jahr nur träumen und erst recht von den sagenhaften 40,- Euro der Kanadier oder gar 50,- Euro Gewinn pro US-Schwein.

Freies Abferkeln und Gruppensäugen können aber nur in neuen oder wenigstens radikal umgebauten Ställen funktionieren. Neben mehr Arbeit stünden deshalb natürlich auch hohe Investitionen für zukunftsfähige Anlagen an.

Allerdings, so Hortmann-Scholten, würde schon heute fast kein Neu- oder Umbau mehr genehmigt. Und, wegen Emissionen und Schadnagern, einer mit Außenklimabereich schon gleich gar nicht. Man denke nur an die vielen Altställe in, nach heutigen Maßstäben, zu geringem Abstand zu den Wohngebieten.

Zieht man zu guter Letzt noch die Nachwuchssorgen in Betracht, die mehr als einer der anwesenden Landwirte ansprach, wächst also die Wahrscheinlichkeit für ein „Zukunftsmodell à la Grethe“. Die Tierbestände halbieren sich von ganz alleine, weil viele Bauern schlicht das Handtuch werfen.

Vielleicht kommen 2030 tatsächlich 20% von Fleisch und Wurst aus vertikalisierten Wellness-Ställen, 4 x D und staatlich besiegelt. 80% der Schweinehälften dürfte dann jedoch ein Einfuhrstempel zieren. Und wenn dies tatsächlich gesellschaftlicher Konsens sein soll, findet der Bauerntag im Jahr 2030 nicht im „Hannover Congress Centrum“ statt. Dann reicht das Hinterzimmer vom „Grünen Baum“ allemal.

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