24 Jun 2016

„Tierwohl in der Schweinehaltung“ – Fachgespräch an der FH Soest

Am 22. Juni lud die Fachhochschule Südwestfalen zum „Fachgespräch Tierwohl in der Schweinehaltung“ ein. Auf dem Programm standen Berichte über MuD-Projekte (Modell- und Demonstrationsprojekte Tierschutz) und der Hörsaal 11.006 war bis auf den letzten Platz besetzt.

Kein Wunder, denn es ging um Antibiotika-Reduktion in der Ferkel- erzeugung, Optimierung der Lüftung fürs Tierwohl, Tierschutzindikatoren für die betriebliche Eigenkontrolle und, gleich drei Mal, ums Schwanzbeißen.

Nun waren Vorträge z. B. über Stall-Lüftung schon häufiger im Angebot und die Grundsätze sollten eigentlich bekannt sein. Aber Katrin Peperkorn berichtete ja hier aus der Praxis, direkt aus dem Stall.

Und alle Probleme, die seit Jahr und Tag geschildert werden, zeigte sie in zahlreichen Bildern und Videosequenzen: Temperaturfühler auf der Sonnenseite des Stallgebäudes, Zugluft durch Türen, Ritzen, Gülleschieber. Fehlströmungen (oben kalt/unten warm) und verdreckte Zuluftkanäle. Alles eigentlich sattsam bekannte Schwachstellen, die aber auch in den folgenden Referaten immer wieder auftauchten.

Schon im zweiten Vortrag von Wilhelmine Grothmann, über die Prävention von Schwanzbeißen in Ferkelaufzucht und Mast kamen Temperatur, Zugluft und Luftqualität an vorderer Stelle zur Sprache. Als wichtige Risikofaktoren neben Platzmangel, unstrukturierten Buchten und zu wenigen Futter- und Tränkeplätzen. Entscheidend aber, führte die Referentin aus, sei bereits die ersten Warnsignale rechtzeitig zu erkennen und einen „Ausbruch“ des Schwanzbeißens zu verhindern. Als Vorstufen nannte sie z. B. Belly Nosing und Schwanzsaugen.

Wenn es aber doch zum Schwanzbeißen kommt, sollte das „Tätertier“ sofort separiert und den Tieren in der betroffenen Bucht zusätzliches Beschäftigungsmaterial angeboten werden. Dabei gälte es aber Ressourcenknappheit zu vermeiden, führte Nicole Hellenkamp in ihrem Vortrag über „Intervention bei akutem Schwanzbeißen“ aus. Der ständige Wechsel des Materials sei wichtig und – man ahnt es schon – eine Überprüfung von Lüftung, Futter und Wasser.

Die Tierärztin Dr. Sabine Schütze sprach über „Tiergesundheit als Ausbruchsfaktor“ und ergänzte die Liste der Risikofaktoren um Atemwegserkrankungen, Durchfall und Parasiten. Den Teufelskreis beschrieb sie so: kranke Schweine lassen Beißen eher zu, Gebissene zeigen vermehrtes Schwanzschlagen (wie auch Tiere, die an Durchfall leiden) und animieren dadurch Buchtgenossen zum Beißen (häufig Kümmerer, die höherem Stress z. B. an Trog und Tränke ausgesetzt sind).

Eher ernüchternd wirkten die Ergebnisse von Ringelschwanz-Versuchen in Ferkelaufzucht und Mast, über die Nicole Hellenkamp auch noch berichtete: 61% der Ferkel hatten beim Umstallen noch einen intakten Ringelschwanz. Zum Mastende sank dieser Wert auf schmale 36%. Allerdings kamen auch zwei von acht Ferkelerzeugern auf 100% ebenso wie einer der Mäster.

Angesichts dieser Zahlen und Erfahrungen aus vielen ähnlichen Versuchen, plädierte Dr. Jürgen Harlizius für eine zehnjährige Übergangsfrist vor der „Pflicht zum Ringelschwanz“ und riet zum Start auf jeden Fall einen externen Berater zu engagieren. Denn: die Tierbeobachtung müsse hier erst (neu) gelernt werden!

Denn unverzichtbar bleibt die betriebliche Eigenkontrolle. Prof. Martin Ziron stellte dazu neue Checklisten für wichtige Tierschutzindikatoren vor. Schon bald in Papierform erhältlich sollen sie später durch einen App fürs Tablet ergänzt werden. Allerdings stießen diese Formulare nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Anwesenden: „Noch mehr Papierkram, hat uns gerade noch gefehlt“, „Heute freiwillig und in drei Jahren Pflicht“ und: „Das weckt nur Begehrlichkeiten und bald wollen Vet-Amt und QS da auch noch Einblick haben“ lauteten die spontanen Kommentare. Und auch: „Ein Landwirt sieht mit einem Blick, was in seinem Stall los ist.“

Ob allerdings ein Blick ausreicht ist fraglich. Bis die nötige Ruhe unter Schweinen einkehrt, vergehen 10 Minuten und mehr. Und erst wenn der Mensch vor der Bucht nicht mehr stört, lässt sich das Verhalten überhaupt beurteilen. Ein Ferkel mit GoPro-Kamera auf dem Rücken, lieferte hierzu eindringliche Videoaufnahmen.

Der Vortrag von Caren Ahrendt war zwar der erste des Tages, soll aber trotzdem hier am Ende stehen. Sie sprach über „Reduzierung des Medikamenteneinsatzes in der Ferkelerzeugung“, ein Projekt von zwei Jahren Laufzeit, an dem 16 Betriebe teilgenommen haben.

Da wir darüber noch detailliert berichten möchten, seien hier nur die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst: Sämtliche Betriebe haben im Lauf der zwei Jahre ihren Antibiotikaeinsatz deutlich senken können und 2/3 verzichten heute komplett auf Metaphylaxe. Gleichzeitig stieg die Leistung von durchschnittlich 29,8 auf 30,8 abgesetzte Ferkel im Jahr. Und als die wichtigsten Stellschrauben erwiesen sich auch hier, wer hätte es gedacht: Hygiene, Wasserversorgung und Fütterung.

Natürlich waren diese „Basics“ auch den Projekt-Teilnehmern keineswegs neu. Aber im Griff hatten sie sie trotzdem nicht so ganz. Weil aber alle Profis sind und diese 16 Schweinehalter ihre Betriebe im Kollegenkreis vorstellten, konnte am Schluss jeder von jedem profitieren. Eine Selbsthilfegruppe quasi!

Wie sähe also ein Fazit der Veranstaltung aus? Vor Betriebsblindheit und eingefahrenen Arbeitsroutinen ist kein Landwirt sicher. Schließlich darf man bei allen Projekt-Teilnehmern, genauso wie bei den Besuchern der Soester Veranstaltung, guten Willen und Bereitschaft zur Veränderung unterstellen. Aber offensichtlich fällt es gar nicht so leicht, theoretisches Wissen erfolgreich in die eigene Praxis umzusetzen.

Schweinehalter (und alle anderen Nutztierhalter ebenso) sollten sich intensiv und regelmäßig mit ihren Kollegen austauschen. Offen und vielleicht mit Hilfe eines fachkundigen Moderators. Und auch Veranstaltungen wie in Soest nutzen, um die eigenen Routinen zu hinterfragen.

Wir leben in umbrüchigen Zeiten: der Verzicht auf „nicht-kurative Eingriffe“ bei Ferkeln und Geflügel bieten wahrlich Herausforderung genug. Grundlegend veränderte Erwartungen vieler Verbraucher verlangen nach einer grundlegenden Neuausrichtung weiter Teile der Landwirtschaft. Heute und nicht erst übermorgen.

„Selbsthilfegruppen“ aktiver Landwirte bieten hier die Chance wertvolle Erfahrungsschätze zu heben. Und – auch wenn es nicht jedem gefällt – die Verpflichtung aller Tierhalter zu regelmäßiger Fortbildung wäre eine echt gute Idee.

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