30 Nov 2016

„In unserer Redaktion gibt es keine Fachidioten – wir sind Idioten in allen Fächern!“

Dieses selbstironische Bonmot einer Hörfunkjournalistin kommentiert Ulrich Teusch in seinem Buch „Lückenpresse“ mit den Worten: „Das trifft die Verhältnisse recht gut. Ist es kritikwürdig? Nein. Denn wie sollte, wie könnte es anders sein?“

Und weil gerade die Zeit der Jahresrückblicke anbricht, hier ein paar kleine Geschichten aus diesem Jahr:

1) Die Milch macht‘s
Schon lange, vielleicht schon immer, berichten Journalisten über alle möglichen Themen und haben nur begrenzte Zeit sich einzuarbeiten. Heute gilt das in noch viel stärkerem Maß. Die Redaktionen wurden, aus wirtschaftlichem Zwang, personell ausgedünnt, gleichzeitig aber fordert die Digitalisierung einen immer schnelleren Takt. „Spiegel Online“, das elektronische Leitmedium in Deutschland, bringt alle paar Minuten neue Meldungen und alle 20 Minuten, zeigt deren Homepage andre Schlagzeilen.

Einerseits ist die „Spiegel“-Seite damit selbst Taktgeber für die Internet-Redaktionen vieler Medien, andererseits aber auch eine gern genutzte Quelle. Und so kam es, dass im Spätsommer der „Spiegel“ als erster den geplanten Zuschuss für notleidende Milchbauern vermeldete und keine Viertelstunde später, taten dies auch zahlreiche weitere Medienseiten.

Dass der „Spiegel“ und nicht das BMEL als Quelle für die vielen Meldungen diente, war unschwer zu erkennen. Das Ministerium hatte nämlich 0,34 Cent pro nicht-geliefertem Liter Milch ausgelobt. Beim Spiegel hatte wohl jemand die Brille nicht auf, machte daraus 0,34 Euro und niemand fiel es auf.

Bei einem Milchpreis von damals 25 Cent pro Liter, hätten bei kurzem Nachdenken allerdings Zweifel aufkommen müssen. Für 34 Cent Prämie hätten vermutlich nicht wenige Bauern ihre Milch höchst selbst ausgetrunken.

2) Der Dünger des Todes
Ein paar Monate zuvor tobte die Debatte über Glyphosat: Das Ackergift, den Unkraut-Killer, manchmal auch gnädig nur Total-Herbizid genannt. Irgendwann fühlte sich auch Ute Vogt, Landwirtschaftsexperten der SPD, bemüßigt eine Meinung abzugeben. Dummerweise aber überlies sie dafür ihr Twitter-Konto einem Mitarbeiter, der prompt das gefährliche Düngemittel Glyphosat aus dem Verkehr ziehen wollte.

Wieder, keine halbe Stunde später, schlossen sich Kommentatoren und Redakteure etlicher Zeitungen der Forderung an, diesen sehr speziellen Dünger zu verbieten. Anscheinend beherrscht manch einer Copy & Paste schon im Schlaf, denn anders ist kaum zu erklären, wie Glyphosat zum Düngemittel werden konnte.

3) Bauern-Boykott en miniature
Hieß es früher, die Feder sei mächtiger als das Schwert, muss es heute eher heißen „The tweet beats the tank“. Zwei twitternde Landwirte ärgerten sich nämlich über die veganen Visionen der Firma Rügenwalder und bekannten, bei ihnen kämen schon lange keine Produkte mehr aus deren Produktion auf den Tisch. Verwundert lasen sie am nächsten Tag in der FAZ: „Landwirte rufen zum Boykott des Unternehmens auf.“

Verwundert fragten da – wieder via Twitter – Bauer und Bäuerin den Redakteur, ob das nicht vielleicht eine klitzekleine Überinterpretation sei? Doch da war es längst zu spät! In Windeseile verbreitete sich die Meldung, wurde zitiert und repetiert. Sogar in Österreich und schließlich gar England: In Deutschland seien „Bratwurst-Wars“ ausgebrochen, erfuhren dort die Leser des „Express“ – inklusive Video und Blasmusik.

Drei Beispiele dafür, dass eine schnelle Nachricht nicht unbedingt auch eine richtige Nachricht ist und auch in den hektischsten Zeiten ein kurzer Logik-Check vor Peinlichkeiten schützt. Aber leider gibt es auch Überzeugungstäter, deren Credo lautet:

Recherche ist nur was für Meinungsschwache!“

Gerade (aber nicht ausschließlich) bei landwirtschaftlichen Themen ist die Meinungsfreude deutlich ausgeprägt. Recherche ist für einige Erleuchtete unnötig, verfügen sie doch über ein festgefügtes Weltbild und den noch festeren Willen, der Welt eben dieses Bild auch zu vermitteln.

Gerade jetzt am Jahresende geht wieder die Vogelgrippe um. Das Friedrich-Loeffler-Institut, als nationales Referenzlabor, berichtet über den aktuellen Vogelzug, zahllose Funde toter Wildvögel von Asien bis zur Nordsee und liefert die genaue Genom-Analyse des Erregers H5N8.

Dagegen sehen NGOs die Schuld bei der „Massentierhaltung“ und Tiertransporten aus Ungarn. Tatsächlich finden auch wildeste Theorien ihren Weg in die Medien. Teils ohne dass überhaupt ein Wissenschaftler zu Wort kommt, teils mit dem ominösen Zusatz „zwar meldet das FLI …, aber …“ Typischer Fall von „Aktivist schlägt Spezialist“.

Allzu viele Meinungsmacher haben eine regelrechte Experten-Allergie. Es gibt in Deutschland 60 Institutionen (Bundesämter, Institute, Universitäten), mit Hunderten von Fachwissenschaftlern, die sich ausschließlich mit Themen rund um Landwirtschaft und Verbraucherschutz befassen. Trotzdem holt manch ein Redakteur den O-Ton lieber vom plakatschwingenden Protestierer. Denn bei dem ist die Glaubwürdigkeit quasi eingebaut, auch wenn er von Beruf Logopäde ist.

Dabei wäre auch in diesen Fällen einfache Logik als Ausgangspunkt eigener Recherchen hilfreich. Um bei der Vogelgrippe zu bleiben: Wäre das Nutzgeflügel Reservoir und Verbreiter, warum sind die stärksten Ausbrüche dann immer in Zeiten des Vogelfluges? Oder: Gibt es eigentlich Lebendtransporte von Geflügel aus dem Osten?

Wer solch einfachen Fragen nachgeht, erfährt schnell, dass ungarische Weihnachtsgänse tiefgekühlt hier einfliegen, andererseits aber Eintagsküken in großer Zahl von Europa nach Asien geliefert werden, ohne dass je eine Virusverschleppung in dieser Richtung bekannt geworden wäre.

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